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Donnerstag, 10.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Kommentar zur Freilassung der politischen Gefangenen: Ein Lehrstück über die Willkürlichkeit der Justiz

Nach dem Gewaltakt am Königsplatz mit tödlicher Folge befindet sich nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts nur noch der Hauptbeschuldigte in Untersuchungshaft. Die Entscheidung hat eine ungeheuerliche Note, da das Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen nur eingreift, wenn die Auslegung und Anwendung des Strafverfahrensrechts mit Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts nicht zu vereinbaren ist oder sich als objektiv willkürlich erweist.

Kommentar von Siegfried Zagler

Im Ergebnis liegt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf der Linie des Landgerichts Augsburg. Es hatte die sechs von insgesamt sieben Haftbefehlen am 23. Dezember 2019 zwischenzeitlich aufgehoben. Es hatte jeweils den dringenden Tatverdachts in Hinblick auf Beihilfe zu einem Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge verneint.

Nahezu jeder, der sich kurz nach der Tat zu diesem Fall öffentlich äußerte, bediente, ob gewollt oder ungewollt, das archaische „Gut-Böse-Muster“. Die Staatsanwaltschaft, die Kripo, die Polizei, die Politik, die Feuerwehr: Hier der tadellose Feuerwehrmann, der sein Leben für Lebensrettung und Brandbekämpfung einsetzt, dort die kriminellen Schläger mit muslimischen Vornamen. Das sind vorurteilsbehaftete Klischees, die zu rassistischen Weltanschauungen führen, die in einer freien und offenen Gesellschaft nichts verloren haben. Politisch motivierte Sippenhaft und willkürliche Beschuldigungen („Beihilfe zum Totschlag“) sind mittelalterliche Methoden des „Blaulichtsektors“, die mit Wahrheitsfindung nichts zu tun haben.

Die Richter der Jugendkammer des Landgerichts pulverisierten die „Totschlag-Auslegung“ der Staatsanwaltschaft und des Augsburger Amtsgerichts und setzten sechs der sieben jungen Männer wieder auf freien Fuß. Die Richter der Jugendkammer hatten sich tagelang mit dem Fall beschäftigt.

Wenige Tage später kassierte das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts. Begründung: Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. Seitdem befanden sich die sieben jungen Männer wieder in Haft. Einige von ihnen waren laut ihren Anwälten an der Gewaltaktion nicht beteiligt. Videokameras lügen nicht. Die Ausführungen des Landgerichts plausibilisieren die Vermutung, dass es sich bei dem tragischen Vorfall am Königsplatz um eine Schlägerei gehandelt hat, wie sie sich in dieser Form in Deutschland an den Wochenenden tausendfach ereignen.

Der Vorwurf des Totschlags lässt sich nach Studium des Dashcam-Videos, das der DAZ vorliegt, wohl kaum halten. Dass die Staatsanwaltschaft zu hoch eingestiegen ist, ist eine Handlungsweise, die den Rechtsstaat unterläuft, ist der schwer zu reparierende Skandal in dem bisherigen Verfahren. Dass Bayerns Justiz gerne in Texas-Manier verfährt, ist bekannt, doch die vom Bundesverfassungsgericht indirekt festgestellte Willkürlichkeit des Oberlandesgerichts ist ein extrem beschämender Sachverhalt, der die Vermutung nahelegt, dass die Bayerische Justiz politisch nicht unbefangen ist.

Die jungen Männer saßen wohl im Gefängnis, um den Rassisten und Nationalisten kein Futter zu geben, um dem scheinbaren gesellschaftlichen Druck nachzugeben. Sie saßen im Gefängnis, weil es politische Strömungen und einen rechten Mob in diesem Land gibt, die im Zusammenwirken offenbar in der Lage sind, Stimmung zu machen, die nicht ohne Wirkung bleibt.

Anwalt Felix Dimpfl ist ein Held. Dass sein Anliegen beim Bundesverfassungsgericht Gehör fand, ist ein fürchterliches Zeichen für den erbärmlichen Zustand der hiesigen Staatsanwaltschaft und des zuständigen Oberlandesgerichts. Es ist aber auch ein Zeichen, das Hoffnung macht. Das Recht sollte nach Gerechtigkeit streben. Auch wenn es viel zu lange gedauert hat, ist mit dem heutigen Spruch des Bundesverfassungsgerichts den jungen Beschuldigten etwas widerfahren, das sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun hat.