Mehr Schatten als Licht bei der EM-Generalprobe gegen Griechenland
Bei ihrer EM-Generalprobe gegen Griechenland gelang der deutschen Nationalmannschaft ein schmeichelhafter 2:1 Last Minute Sieg. Trotz der lila-pinken Trikots blieb der Auftritt der Nagelsmann-Truppe im Mönchengladbacher Borussia-Park insbesondere in der ersten Halbzeit äußerst farblos.
Von Udo Legner
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – diese Binsenweisheit gilt landauf landab und weit über die Landesgrenzen hinaus und auf vielfältigen Spielfeldern. Die Stadt Paris etwa putzt sich gerade für Olympia heraus, deutschlandweit – vom Augsburger und Münchener Rathausplatz bis hoch in die Hansestadt Hamburg – versuchen die Kommunen in Kundgebungen gegen Rechts vor der Europawahl Flagge zu zeigen und die deutsche Nationalmannschaft schickte sich an, für die Auftaktpartie der EM am kommenden Freitag die Segel richtig zu setzen.
Große Erwartungen
Zu diesem Großevent in zehn deutschen Städten werden Millionen Fans aus den hierfür qualifizierten 24 Ländern erwartet. Klar, dass Nagelsmann und seine Mannen im Spiel gegen Griechenland alles daran setzten wollten, die Euphorie und Aufbruchstimmung weiter anzuheizen, zumal sich nicht wenige von dieser EM die Wiederholung des Sommermärchens, wenn nicht gar Rückenwind für die kriselnde deutsche Wirtschaft erhoffen.
Entsprechend Nagelsmanns Statement vor dem Spiel: „Es gibt ja das berühmte Gesetz der Generalprobe: dass sie eigentlich besser in die Hose gehen sollte – aber ich habe meiner Mannschaft gesagt, dass dieses Gesetz außer Kraft gesetzt ist.“
Farb- und fantasielos: die deutsche Elf in der ersten Halbzeit
Wer erwartet hatte, dass die Nationalelf diesen Worten Taten folgen lassen würde, sah sich bald eines Besseren belehrt. Die deutsche Elf hatte große Mühe gegen das ganz in Weiß angetretene und forsch aufspielende griechische Team ins Spiel zu finden. Ideenloser Sicherheitsfussball garniert mit Leichtsinnsfehlern – diese Melange sorgte dafür, dass die Begeisterung im Borussia-Park, die die neue Jingle „Major Tom“ vor Anpfiff noch ausgelöst hatte, allzu rasch der Ernüchterung wich.
Licht und Schatten bei Manuel Neuer
Nur eine Glanztat von Keeper Manuel Neuer (6.) verhinderte die frühe Führung des Gästeteams. Nach einem Katastrophenpass von Wirtz konterten die Griechen über Masouras, der quer auf Fortuna Düsseldorfs Zweitliga-Stürmer Christos Tzolis passte, der völlig frei vor Torhüter Neuer auftauchte, der sowohl seinen Schuss als auch den Nachschuss mit meisterhaften Reflexen parierte. Aber auch diese Warnschüsse waren keine Game Changer, vielmehr tat sich die deutsche Elf weiterhin schwer, gefährlich – wenn überhaupt – vor das gegnerische Tor zu kommen.
Wie nahe Glanz und Elend auch bei der alten und neuen Nummer 1 inzwischen beieinander liegen, zeigte sich in der 33. Minute. Ein leichtfertiger Ballverlust beim Spielaufbau durch Tietz bescherte Griechenland eine Konterchance, die zum Führungstreffer für den Außenseiter führte: den Fernschuss von Tsolis konnte Neuer nur unzureichend und den Nachschuss von Masouras gar nicht mehr parieren. In der 40. Minute endlich ein Lebenszeichen der deutschen Offensivabteilung: Von Kroos kommt ein Freistoss stark vor das griechische Tor, Tah behauptet Lufthoheit, doch sein Kopfball verfehlt knapp das griechische Gehäuse (40.). Nur drei Minuten später gibt es gar kurzen Grund zum Jubeln – nach feinem Zuspiel von Musiala schiesst Havertz aus kurzer Distanz flach ins rechte Eck ein. Der Linienrichter hatte jedoch zurecht seine Fahne oben, da er beim Zuspiel knapp im Abseits stand. Auf der Gegenseite fast im Gegenzug das 2:0 für die Griechen (45.). Pavlidis versetzt Kimmich und Rüdiger, doch sein Schuss kann von Tah gerade noch geblockt werden.
Fazit zur Halbzeit: Abgesehen von den Schlussminuten ein völlig verkorkster Auftritt der Nagelsmann-Elf. Wackelig in der Defensive, harm- und einfallslos in der Offensive.
Klare Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit
Mit neuen Kräften – Raum für Mittelstädt, Sané für Wirtz – nimmt das Spiel der Deutschen endlich Fahrt auf. Mehr und mehr verlagert sich das Spiel in die griechische Hälfte und in der 55. Minute schließt Kai Havertz eine gelungene Kombination mit Andrich und Gündogan mit dem 1:1 Ausgleichstreffer ab. Der griechische Keeper Vlachodimos war hierbei chancenlos, da der Ball noch leicht abgefälscht wurde.
Pascal Groß rettet EM-Stimmung
In der Folge wird Deutschland endlich seiner Favoritenrolle gerecht und ist das dominierende Team. Lange sah es danach aus, als würde es beim Lattenkracher von Henrichs (83.) und damit nach dem torlosen Remis gegen die Ukraine beim erneuten Unentschieden bleiben, als der kurz zuvor eingewechselte Pascal Groß mit einem Traumtor (89.) doch noch EM-Stimmung aufkommen ließ. Trotz der deutlichen Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit warf der Auftritt der deutschen Nationalelf bei dieser EM-Generalprobe mehr Fragen auf als er Antworten gab. Zumindest die Frage nach der Torwart-Nominierung wurde von DFB-Trainer Nagelsmann im RTL-Interview gleich nach dem Spiel beantwortet: „Ich lasse keine Diskussion aufkommen. Wenn ein Fehler passiert, ist es leicht zu sagen, dass es der Manu war. Am Ende war es eine Fehlerkette. Er hat drei gute Paraden gehabt, alles ist in Ordnung.“
Bleibt zu hoffen, dass die deutsche Nationalelf bei ihrem ersten EM-Gruppenspiel gegen Schottland (Freitag, 14.6. um 21 Uhr) vom Anpfiff an wesentlich weniger mit Kampfgeist, kreativem Kombinationsspiel und Torschüssen geizen wird.
Startelf Deutschland: Neuer – Kimmich, Rüdiger, Tah, Mittelstädt – Andrich, Kroos – Musiala, Gündogan, Wirtz – Havertz