Mit dem Gesangsbuch „auf New York nei“
Die „Augsburger Küchenschaben“ in der Mühle
Von Frank Heindl
Wenn Politiker in die Bütt steigen, ist das so eine Sache. Gelacht wird manches Mal im besten Fall aus Höflichkeit, im schlechteren Fall, weil der da oben sich gerade gnadenlos blamiert. Am Montagabend aber stand in der Kresslesmühle mit Rose-Marie Kranzfelder-Poth Augsburgs einzige FDP-Stadträtin nebst zwei Mitstreiterinnen auf der Bühne – und der Saal klatschte schon nach wenigen Minuten frenetisch. Nicht aus Höf- oder Peinlichkeit, sondern aus purem Vergnügen.
„Augsburger Küchenschaben“ nennen sich die drei Frauen, die ihr Publikum, streng hausfraulich orientiert, schon am Eingang erst mal gründlich abstaubten. Ebenso züchtig ging’s auf der Bühne weiter: Das Gesangsbuch der alt-jüngferlich dunkel gekleideten Damen ist schließlich nicht irgendein Songbook, sondern eine vom „Verbande der katholischen Burschenvereine“ herausgegebene Compilation fromm-verklemmter Machotipps fürs züchtige Hausmütterchen, voll bigotter Warnungen vor dem traurigen Schicksale gefallener (und früh zur Mutter gewordener) Frauen. Das mag nicht ganz zeitgemäß sein – die Sammlung stammt aus dem Jahr 1912 – aber ganz aus der Welt ist diese etwas seltsam anmutende Geisteshaltung ja auch nicht. Und Spaß macht es auf jeden Fall, sich mit todernster Miene und im dreistimmigen Gesang über „diese scheinheiligen Briadr“ gehörig lustig zu machen.
Was die „Küchenschaben“ dafür prädestiniert, ist zum Einen ein schmalzig-eingängiger dreistimmiger Satzgesang, der noch den beklagenswertesten Unsinn sanft flötend und wohltönend über die Lippen bringt. Des Weiteren eine gelernte Gitarrenspielerin wie Ute Schmid-Holzmann, die die Saiten auch dann noch geradezu lyrisch zupft, wenn die schröckliche Moritat von der Alt-Kissinger Selbstmörderin für Grausen sorgt. Und schließlich und nicht zuletzt jenes Organ, das man, gehörte es nicht einer stadtbekannten Politikerin, als eine „große Klappe“ wenn nicht gar als eine „freche Gosch“ bezeichnen dürfen wollen würde. Mit diesen Zutaten gewappnet, kann man sich dann auch kurz mal den – reserviert habenden, aber nicht gekommenen – OB Kurt Gribl zur Brust nehmen, respektive ans Herz drücken: „Oh bleib bei mir und geh nicht fort – an meinem Herzen ist der schönste Ort“, singt Kranzfelder-Poth, und selbiges tut sie, das sei ernsthaft und völlig ironiefrei betont, mit klarer, voller, schöner und geübter Stimme!
Sangeslust und Kabarett
Die viele Sangeskunst trägt das Programm, doch ein paar kabarettistische Einlagen tun ein Übriges für die gute Stimmung in der Mühle. Etwa, dass Kranzfelder-Poth, der unbestrittene Mittelpunkt der Inszenierung, als running gag in regelmäßigen Abständen „a andere Dasch“ braucht und gegebenenfalls auch das Schuhwerk den Umständen anpassen muss, und dass die Frauen die dumm-reaktionären Texte ihrer Lieder gestisch, mimisch und stimmlich heftig konterkarieren – auch hier darf Kranzfelder-Poth das freche Luder geben, das nach dem tragischen Verlust der Jungfernschaft ein frohes „Hei“ ausstößt und diesen Misslaut nur mit Mühe wieder ins tragisch-süßlich-seufzende „Heimat, süße Heimat“ rückzuverwandeln vermag.
Es gäbe noch viel zu zitieren aus dem vorgetragenen deutschen Liedgut, doch bliebe dann zu wenig Platz für den zweiten Teil der Veranstaltung, in welchem das Trio sich auf den Weg machte, um über München und Berlin „auf New York nei“ zu gehen. Dass Rose-Marie Kranzfelder-Poth das Schwäbische nicht schwerfällt, war von vornerein klar – aber auch wie sie nun die Claire Waldoff der 20er-Jahre mit Verve, Stimme und – abermals – frecher Klappe intoniert und dabei perfekt die Berliner Göre gibt, das hat Klasse. Natürlich lebt auch dieser Teil von den herrlichen Texten – hier geht’s allerdings nicht mehr um verquaste Männerphantasien, sondern um überraschend moderne weibliche Erkenntnisse: „Ich lasse keenen Doktor ran an meine Brust, wejen Emil seine unanständje Lust.“ Wer hätte gedacht, dass diese Zeilen über Schönheitsoperationen 90 Jahre alt sind?
Das Schicksal wird zur „Däschdanniee“
Berlin geht, wie gesagt, hundertprozentig berlinerisch über die Bühne. In New York „drin“ allerdings bricht dann doch das Schwäbische wieder durch mit den drei Sängerinnen. Auch hier geht’s dramatisch und schicksalsträchtig her – doch was der Amerikaner „destiny“ schreibt, das hört sich halt auf Augschburgerisch leider wie „Däschdannie“ an – im Programm war schließlich nicht von „Go West“, sondern ganz deutlich von „Go Wescht“ die Rede. So bleibt vom allzu vielen Pathos auch wieder nur herzhaftes Gelächter, Augschburgerin bleibt eben Augschburgerin, auch wenn die Ladies mittlerweile recht hochhackig daherkommen, auch wenn Ursula Peter über ganze Szenen hinweg sowohl Kaugummi kaut als auch – gleichzeitig! – heftigst raucht, um nicht zu sagen qualmt.
Ein wunderbarer Abend, der übrigens auch dadurch beflügelt wurde, dass es dem offenbar stark zum Mitsingen aufgelegten Publikum gestattet war, bei den Refrains jeweils kräftig mit einzustimmen. Die Moral von der Geschicht: Manche Politikerinnen können eben doch Kabarett. Und der OB hat was versäumt.