Mode und Musik, Ästhetik und Antiästhetik
„Sounding D“ endete mit einem bemerkenswerten Konzertabend im „tim“
Von Frank Heindl
Kann es sein, dass die Achillesferse der Neuen Musik der traditionelle Konzertraum ist? Dem Gedanken war man schon am Donnerstagvormittag nachgehangen, als das Projekt „Sounding D“ neue Hör- und Klangerlebnisse mit dem D-Zug nach Augsburg brachte – und diese Erlebnisse im Zug und vor allem auf der Straße präsentierte (DAZ berichtete). Am Abend klang die Veranstaltung mit einem Konzert im Textilmuseum aus – und wieder einmal durfte man feststellen, dass der Erfolg von Ute Legners „Mehr Musik“-Konzerten nicht zum geringen Teil darauf beruht, dass die Protagonistin der Neuen Musik in Augsburg ihre Veranstaltungen weitab von den traditionellen Spielstätten konzertanter Musik inszeniert.
Schon das ganze Jahr über hatte man Neue Musik an bizarren, neuen, fremdartigen Orten hören können – aber eben nicht nur hören, sondern auch erleben: Das „tim“ war am Donnerstag nicht zum ersten Mal dran, auch das Römische Museum, das „H2“ oder der Lokschuppen im Bahnpark hatten der Musik jeweils einen keineswegs zufälligen Rahmen gegeben. Galt und gilt es doch den Beweis zu erbringen, dass Neue Musik thematisch nahe am Leben spielt, dass ihre Themen wie ihre Sounds den Puls, den Klang, den Lärm, den „Sound“ der Gegenwart suchen und wiedergeben. Dieses Konzept ging am Donnerstag einmal mehr auf.
Wobei – selbstverständlich! – die Räumlichkeit zwar eine wichtige, aber trotzdem eine Nebenrolle spielte. Beeindruckend war schon das Intro, der erste Satz des Werkes „Rondo – Versuch eines Kollektivs“ von Viktor Globokar, den das „Mehr Musik“-Ensemble unter Leitung von Iris Lichtinger auch gestisch-schauspielerisch in Szene setzte – zum Beispiel, indem die Musiker und Musikerinnen schon nach kurzer Zeit des „kollektiven“ Zusammenspiels aus einer Idylle von Vogelgezwitscher und Wohllaut auseinanderliefen und versteckt zwischen den Zuhörern/Zuschauern disharmonisch, auch still atmend oder leise intonierend verharrten. Später – und an anderem Ort im Museum – wurde der „Versuch des Kollektivs“ zum Streit, der nicht nur musikalisch, sondern auch laut schreiend ausgetragen wurde – bis zum kitschig-banalen Schluss mit „you are so beautiful to all of us“. Ob man die Komposition so programmatisch hat auffassen müssen, sei dahingestellt – stimmig war’s allemal.
Sturmwind im Flaschenwald
Eine Verbindung zur im oberen Stockwerk platzierten Ausstellung „Bayern – Italien“ stellte anschließend ein Trio aus zwei Perkussionisten und einem Laptop-Elektroniker her: „minimale popolare“ vermischte mitgeschnittene Klänge vom italienischen Strand mit Augsburger Stadtgeräuschen und selbst erzeugten, assoziationsreichen Collagen – da blies der Sturmwind durch den Flaschenwald, da zitterten die Wände von tiefen Bässen, verschmolzen Elektronik, Umwelt und Musik in unmittelbarer Gegenwart der großen Webmaschinen des Museums.
Am Weitestens weg von allem, was man gemeinhin als Musik gerade noch zu definieren traut, wagte sich das Ensemble „Tuba(x)“ – die fünf Musiker (und Handwerker!) erzeugten maschinellen Lärm, mischten ihn mit extrem basslastigen Blasinstrumenten, quälten eine E-Gitarre bis zum Äußersten. Das war ein zwischenzeitlich nahezu schmerzhafter Kontrapunkt zur in den Schaukästen ausgestellten „Schönheit“ der Mode, zur Gebrauchsästhetik der vergangenen Jahrhunderte. Und es war wohl auch lustig gemeint, wie da mit gelassener Beiläufigkeit immer größerer Blechkram in eine rotierende Betonmischmaschine geworfen wurde – eine Lärmmaschine par excellence. Erstaunlich lautstarke Ergebnisse zeitigte auch der Versuch, Öltonnen und Plastikfässer mit einem staubsaugerähnlichen “Betoninnenrüttler” zum Dröhen zu bringen. Noch konsequenter wäre es gewesen, am Schluss das Equipment mit einer Kreissäge zu zerkleinern. Man darf annehmen, dass dies nur aus Kostengründen unterblieb, muss sich aber auch fragen, ob für diese Aktion womöglich auch ein Industriemuseum noch ein zu feiner Ort ist – die location unterlegte dem Werk eine Ästhetik, die die Musiker womöglich gar nicht erzeugen, eher zerstören wollten: Hier gab es kein einziges Mal einen zählbarer Rhythmus, keine einzige erkennbare Harmonie, hier wurde der Grenzraum zwischen Musik, Klang und Geräusch atemberaubend weit aufgemacht – geradezu als wolle man Maschinenlärm per Manifest zur Musik erklären.
Film, Musik, Filmmusik
Ganz deutlich um positive Ästhetik ging es im abschließenden Stück „Heavy Machines“, dessen Musik mit Filmausschnitten aus der Geschichte der Augsburger Textilindustrie konfrontiert wurde. Im Film ging es um kleinbürgerliche Idyllen und deren Zerstörung durch industrielle Fertigungsprozesse, um Fließband- und Akkordarbeit, um die nationalsozialistischen Maifeiern in Augsburg, um Krieg, Wiederaufbau, Gewerkschaft. Das war nicht aufdringlich didaktisch, aber doch viel fürs Auge, hervorragend und kunstvoll geschnitten, effektvoll mit Zeitraffer und Loops arbeitend –aber das Ohr kam der Informationsvielfalt gelegentlich kaum hinterher. Wohl auch, weil das „Shortfilmlivemusicorchestra“ die Bilder in Zusammenarbeit mit dem „Mehr Musik“-Ensemble wie mit einer Filmmusik kongenial unterlegte und so ein einheitliches Werk entstehen ließ, in dem Bild und Ton nahtlos ineinander flossen. Da wurde mal rüde geholzt, mal elegisch geträumt, mal rhythmisch, mal zerfließend, mal mit Worten, mal mit Gesang eine Klanglandschaft geschaffen, die mit dem Film korrespondierte, ohne ihn platt nachahmen.
„Heavy Machines“ wäre der Favorit des Abends gewesen, musikalisch atemberaubend, vielfältig, überraschend – hätte nicht vorher schon „Tuba(x)“ mit kompromissloser Antiästhetik ebenso Punkte gemacht. So blieben zwei Glanzleistungen, die, obwohl beide dem Genre der Neuen Musik zuzurechnen, gegensätzlicher kaum hätten sein können.