Musikalisch-theatrales zum Kriegsende
FaksTheater, Swing tanzen verboten und Emil Mangelsdorff spielen
Von Frank Heindl
Es war eine eindringliche Erinnerung an einem historischen Datum: Am 28. April war es genau 70 Jahr her, dass Augsburg ohne weiteres Blutvergießen kampflos an die amerikanischen Truppen übergeben wurde. Das Augsburger FaksTheater beging den Tag mit der Wiederaufnahme des Stücks „Der Jazzdirigent“ im Kulturhaus Abraxas und mit einem spannenden Zeitzeugenbericht. Der „Jazzdirigent“ wird ab sofort an Augsburger Schulen und außerdem zweimal im Hoffmannkeller des Stadttheaters zu sehen sein. Zusätzlich gibt es aus Anlass des Kriegsende-Jubiläums eine weitere spannende Veranstaltung in der Brechtbühne.
Die Geschichte des Paul Weißenburger spielte das FaksTheater am vergangenen Dienstag vor Schülern von Maria Stern und der Realschule Bobingen. Das Stück von Wolfgang Sréter schildert jenen Paul Weißenburger der Kriegszeit als einen Jazzfan, der so furchtbar gerne Jazzdirigent in den USA wäre und schon mal vor dem Spiegel (und heimlich vor dem „Volksempfänger“) für diese Rolle übt. „Zu jener Zeit aber war Krieg“ – mit diesem Einwurf ist die anfänglich Idylle der Beschreibung Weißenburgers schnell nachhaltig gestört. Schauspielerin Karla Andrä ist zunächst hauptsächlich Erzählerin, schlüpft aber hin und wieder unmerklich in die Rolle Weißenburgers und schafft die knifflige Balance zwischen dem Erdrückenden der Situation des im Beruf vom Nazi-Vorgesetzten Drangsalierten und der unbeschwerten Euphorie des jungen Musikers mit großen Zukunftshoffnungen.
In der Hauptrolle: die Jazzmusik
Karla Andrä agiert auf karger Bühne lediglich zwischen leeren, mal auf-, mal zugeklappten Instrumentenkoffern, assistiert gelegentlich von Josef Holzhauser, der auch mal in die Rolle des Jazzdirigenten schlüpft. Die Hauptrolle im Stück spielt allerdings neben Andrä – die Musik. Holzhauser lässt an Gitarre und Trompete in vielerlei Variationen und in Zusammenarbeit mit Uli Fiedler am Bass jenen Sound ertönen, für den Weißenburger schwärmt – mal sanft swingenden, mal nachhaltig drängenden, mal weich, mal kantig tönenden Jazz. Und wenn Gitarre und Bass zwischendurch lautmalerisch bedrohliche Situationen illustrieren, so scheint danach umso deutlicher das Klare und Offene, das Befreiende der improvisierten Musik auf, die dem Kunstbegriff der Nazis so abgrundtief wesensfremd war.
Trotz oder gerade wegen seiner künstlerischen Ambitionen zögert der wegen eines Augenleidens von der Front verschonte Weißenburger nicht, als er von der Anzeige gegen den sympathischen Hausmeister seines Wohnblocks erfährt: Er, für den jeder amerikanische Sieg im Krieg „auch ein Sieg des Jazz über die Marschmusik“ ist, hilft dem heimlichen Widerstandskämpfer beim konspirativen Verstecken einer illegalen Druckmaschine. Doch Weißenburger wird dabei beobachtet, beide landen im Gefängnis, werden gefoltert, schließlich droht die Erschießung. Als einziger Gefangener entgeht Weißenburger dem Tod, weil die beim Einzug der Amerikaner fliehenden Nazis ihn in seiner Arrestzelle schlicht vergessen. Das wäre Grund zur Freude, doch Andrä versäumt es nicht, den Überlebenden als gebrochenen Menschen darzustellen, der nun seine Künstlerambitionen begräbt, Ingenieur wird und nur noch in Erinnerungen seinen einstigen Träumen nachhängt. Eine gelungene Allegorie also auf jene Überlebenden des Hitlerkrieges, die Widerstand geleistet hatten und doch gezeichnet blieben vom Erlebten.
Erinnerungen an die Befreiung aus dem Spickel
Gelungene „Erinnerungsarbeit“ auch der anschließende Vortrag von Wolfgang Frühwald, ehemals Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Münchner LMU. Frühwald erlebte das Augsburger Kriegsende in einem Luftschutzbunker im Spickel. Unterernährt sei der zu diesem Zeitpunkt gewesen, voller Kopfläuse, zudem habe er Fadenwürmer gehabt, an der Krätze und einer Gelbsucht gelitten. Frühwald, heute 80 Jahre alt, ließ keine Zweifel, dass für ihn die Eroberung Augsburgs durch die Amerikaner eine Befreiung war – für ein Kind natürlich zuallererst eine Befreiung von Hunger und Krankheit, dann eine Befreiung vom Krieg: Die Schule habe erst im Herbst wieder begonnen, erzählt Frühwald der aufmerksamen Schülerschar, und er habe es als ein „unglaubliches Erlebnis“ in Erinnerung, dass er und seiner Kameraden bis dahin gefahrlos den ganzen Tag im Freien spielen konnten.
Doch auch die Reflexion auf das Kriegsende in der Sicht des heute Erwachsenen kam bei Frühwald nicht zu kurz. Viel stilles Heldentum habe es gegeben, erklärt er mit Blick auf jene Frauen, die in Friedberg gegen das Verbot der SS Barrikaden beseitigten und so dem „Feind“ den kampflosen Einmarsch ermöglichten. Und auch einen Blick in die Gegenwart erspart Frühwald sich und den Zuhörern nicht: „Erstaunt“ nehme er zur Kenntnis, dass nach so langen Jahren des Friedens mittlerweile wieder „Generäle in den Medien die Weltlage kommentieren.“
Den „Jazzdirigenten“, gespielt vom FaksTheater, können Schulen von nun an bei der Fachstelle für Jugend und Bildung des Schulreferats für Aufführungen buchen. Fördermittel gibt es über das Programm „Schule plus“. Doch das Programm ist durchaus nicht nur für Jugendliche geeignet – am Freitag, 8. Mai, dem offiziellen Tag der Befreiung Deutschland von der Nazidiktatur, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, gibt es zwei weitere Vorführungen im Hoffmannkeller des Stadttheaters, und zwar um 11 und um 20 Uhr. Abends folgt auf das Theaterstück ein Konzert des Jazzensembles „Swing tanzen verboten“.
Emil Mangelsdorff spricht und spielt in der Brechtbühne
Zwei Tage später folgt ein weiteres Highlight in der Brechtbühne: der Jazzmusiker Emil Mangelsdorff. Im Rahmen der Veranstaltung „Der Jazz war nicht totzukriegen“ erzählt der heute 90jährige Altsaxophonist – ebenfalls aus Anlass des Kriegsende-Jubiläums – aus seinem Leben. Die Initialzündung für seine Karriere war ein Erlebnis vor dem Radio seiner Eltern, als er zum ersten Mal amerikanischen Jazz hörte: „Da lief Louis Armstrong. Ich war geradezu elektrisiert und wusste: Das ist es, das will ich auch machen!“ Auf dem Akkordeon spielte er die heiße Musik nach und stieg unter der Nazidiktatur zum heimlichen Star der Frankfurter Hotclub Combo auf, bis die Gestapo ihn verhaftete und an die russische Front schickte. Nach viereinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft zurück in Frankfurt, spielte Emil Mangelsdorff sich als Altsaxophonist in die Spitzenriege des deutschen Jazz hinein. In der Brechtbühne wird der Musiker nicht nur erzählen, sondern im zweiten Teil der Veranstaltung auch Musik machen: Begleitet vom Ensemble „Swing tanzen verboten“ wird dann ein profilierter Solist und Komponist des deutschen Jazz zu hören sein.