Ostermarsch 2024: Eine „Augsburger Friedensinitiative“ nimmt Israel ins Visier
Angesichts der Schrecken und des Leids unschuldiger Menschen in Gaza fällt es vielen zunehmend schwer, das militärische Vorgehen Israels als unverhandelbar hinzunehmen. Beim Ostermarsch der Augsburger Friedensinitiative (AFI) war die “Kritik” fundamental und ideologisch einseitig. Das Bündnis hatte am vergangenen Samstag gemeinsam mit Pax Christi und Akteuren aus dem linken Spektrum zu einer Kundgebung auf dem Augsburger Moritzplatz aufgerufen. Die ebenso einfachen wie zweifelhaften Kernbotschaften: Westlicher Kapitalismus, Nato und Bundeswehr seien das Grundübel dieser Welt. Israel unterdrücke das palästinensische Volk und begehe einen Genozid.
Kommentar von Bernhard Schiller
Kein Wort des Mitgefühls angesichts der israelischen Geiseln, die seit einem halben Jahr in der Gewalt von Folterknechten und Mördern sind. Kein klarstellendes Wort zur Rolle des Irans beim Terror gegen den jüdischen Staat. Kein verurteilendes Wort zu dem Kriegsverbrechen der palästinensischen Terrororganisationen, die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Einseitigkeit beweist schon der offizielle Aufruf zum Ostermarsch 2024, in welchem die AFI unmissverständlich darlegt, wen sie als Verursacher des Massakers vom 7. Oktober ausgemacht hat: Israel und Israel allein. Laut Verfassern „eskalierte“ die „jahrzehntelange Blockade und Besetzung Palästinas … mit dem menschenverachtenden Angriff … auf die Menschen in Israel“.
Komplette Verleugnung der Realität
Jost-Hinrich Eschenburg ist emeritierter Professor für Differentialgeometrie und Vorsitzender des Vorstandes von pax christi Augsburg. Seit vielen Jahren tritt Eschenburg im Verbund mit der AFI in Erscheinung. Zum dreißigjährigen Jubiläum der “Augsburger Friedenswochen” im Jahr 2009 schrieb er in der Festschrift des Bündnisses: „Die Palästinenser sollten … nicht für die deutsche Schuld bezahlen müssen.“ So ähnlich klingt der Schuldabwehr-Antisemitismus, den man hierzulande seit dem 7. Oktober hören kann, wenn Demonstranten „Free Gaza from german guilt“ rufen. Als Redner beim Ostermarsch 2012 legte Eschenburg seine Sicht auf die israelische Iran-Politik folgendermaßen dar: Israel sei „ nicht in der Lage“, „mit seinen engsten Nachbarn Frieden zu schließen“. Deshalb müsse Israel „alle bekämpfen, die diesen Nachbarn wohlgesonnen sind.“
Beim diesjährigen Ostermarsch gab Eschenburg nun zu verstehen, Israel würde sich bei seinem militärischen Vorgehen im Gaza-Streifen vom Rachegeist des Lamech leiten lassen. Eschenburg hebt hervor, das Lamech ein Nachkomme Kains sei, eines Brudermörders also. Israel und seine Verbündeten würden ein „unbeschränkte(s) Recht auf Angriff gegen den Angreifer“ in Anspruch nehmen und dadurch das „Gesetz des Mose“ außer Kraft setzen. Den Teilnehmern am Ostermarsch redet Eschenburg ein, dass es neben dem biblischen „Gesetz des Moses“ ein „Gesetz des Lamech“ gebe. „Auch sowas steht in der Bibel“, sagt Eschenburg und er sagt es nicht wörtlich, aber anders ist es kaum zu interpretieren: Die militärische Reaktion Israels auf das Massaker der Hamas sei archaischer als archaisch, maßlos und von Rache getrieben. Eschenburg urteilt, Israel habe mehr als 30.000 Menschen „umgebracht“, wohingegen er beim Massaker der Hamas nicht von Mord sprechen will, sondern die Realität komplett verleugnet: „Warum bei dem Hamas-Angriff … mehr als 1.200 Menschen sterben mussten, wissen wir nicht.“
Es gibt nichts, was wir nicht wissen
Eschenburgs Satz könnte sprachlos machen. Die Menschen „mussten“ nicht „sterben“. Sie wurden ermordet. Sie wurden ermordet, weil sie Juden waren oder weil sie mit Juden lebten. Sie wurden ermordet, weil sie Israelis waren oder in Israel lebten. Frauen wurden grausam und systematisch vergewaltigt. Säuglinge verstümmelt und erschossen. Die Täter filmten ihre Taten, stellten ihre Opfer zur Schau. Das Ausmaß des Schreckens und der Brutalität ist hinreichend dokumentiert. 239 Menschen wurden in den Gaza-Streifen entführt, nicht nur von der Hamas, sondern auch von der Terrororganisation „Islamischer Dschihad in Palästina“, die den Staat Israel als eine imperialistische Kolonialmacht betrachtet und die seine Zerstörung fordert. Der Angriff vom 7. Oktober trägt alle Anzeichen eines Völkermordes. Kurz vorher lag eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien in greifbarer Nähe. Es gibt nichts, was wir nicht wissen.
Israel wird als imperialistische Kolonialmacht bezeichnet, die einen Genozid begehe
Die weiteren Redner auf dem Moritzplatz sprechen offen von Genozid. „Seit Monaten führt die israelische Regierung nach dem Hamas-Attentat einen alles vernichtenden Kriegszug durch Gaza.“ sagt ein AFI-Mitglied ins Mikrophon. Und weiter: „Selbst den jüngsten Bevölkerungsmitgliedern in Gaza wird jegliches Recht auf Leben genommen.“ Die Vertreter der DFG-VK Augsburg nennen den Krieg gegen die Hamas „Vernichtungskrieg“ und zitieren einen israelischen Kriegsdienstverweigerer, der nicht an einem „Rachefeldzug“ teilnehmen wolle.
Ostermarsch der “Augsburger Friedensinitiative” – Bilderstrecke: DAZ
Redner des Offenen Antifaschistischen Treffens Augsburg betrachten Israel als „imperialistische Kolonialmacht“, die als Reaktion auf den 7. Oktober einen „Genozid an dem palästinensischen Volk“ durchführe. Der Redner des Bündnisses Augsburg für Palästina bezeichnet die geplante Bodenoffensive in Rafah als „Angriff auf mehr als 1,2 Millionen schutzlose Zivilisten“, der „nicht anders gedeutet werden“ könne, als „die Absicht, den Genozid weiterzuführen.“ Lautstarker Applaus. Hungernde Menschen würden „bei der Beschaffung von Lebensmitteln ermordet“. Der Redner fordert ein „Rückkehrrecht der palästinensischen Bevölkerung“. Dabei lässt er unklar, ob er nur die Menschen aus Gaza meint. Die semantische Nähe zu der bekannten Forderung der BDS-Bewegung nach einem „Rückkehrrecht für alle Palästinenser“ muss aber nicht eigens konstruiert werden. Der Redner lobt den „Schulterschluss mit der Friedensbewegung“ und die gegenseitige Unterstützung bei Mahnwachen und Demonstrationen seiner „junge(n) Augsburger Initiative, die sich erst nach dem 7. Oktober gegründet hat“.
Die angebliche Gewaltfreiheit endet dort, wo die eigenen blinden Flecken beginnen
Die Redner geben dem Kapitalismus die Schuld an den Kriegen dieser Welt während im Publikum die palästinensische Flagge, die Flaggen kurdischer Milizen und kommunistischer Gruppierungen geschwenkt werden. Darunter auch die der KPD/ML, die neben Hammer und Sichel ein Gewehr als Zeichen für die Revolution zeigt. Bei den Mitwirkenden des Augsburger Ostermarsches 2024 endet die angebliche Gewaltfreiheit anscheinend dort, wo die eigenen blinden Flecken beginnen.