„Hildensaga“ auf der Brechtbühne: Die Königinnen im Fokus
Die Nibelungensage wurde bereits vielfach in alle Richtungen gedreht und gewendet. Mit der „Hildensaga“ hat der österreichische Theaterautor Ferdinand Schmalz den Fokus nun (für die Nibelungenfestspiele 2022) mit klugem Witz auf die „Hilden“, die beiden Königinnen Brünhild und Kriemhild, gerichtet. Dabei werden die Schiksalsfäden auf der Brechtbühne neu gesponnen.
Von Halrun Reinholz
Für die Augsburger Aufführung hat Regisseur Axel Sichrowsky das Stück als Saisonauftakt inszeniert. Die Bühne ist geschickt als „Burg“ (Ausstattung: Irene Ip) angedeutet, bietet Raum für „oben“ und „unten“ und effektvolle Schrägen zum Hochklettern oder Runterrutschen. Ferdinand Schmalz reduziert das Personal des Nibelungenliedes auf die Hauptakteure am Wormser Hof, hinzu kommt Brünhild aus Island und ihr Vater Wotan, seines Zeichens mephistophelischer Intrigant (herrlich gespielt von Gerhard Fiedler). Und, ganz wichtig für die Neu-Erzählung des Stoffes: Die drei Nornen (Elif Esmen, Ute Fiedler und Natalie Hünig), die versuchen, die Schicksalsfäden neu zu knüpfen. Der Knoten, an dem sie sich stoßen, ist der berühmte Streit der Königinnen vor dem Portal des Wormser Doms. Die Ursache des Konflikts liegt, wie man weiß, in der Vergangenheit, darum wird der Faden zurückgespult nach Island, wo der heldenhafte Drachentöter Siegfried (Paul Langemann im sparsamen Tarzan-Look mit üppigem Muscle-suit), eine unverbindliche Liebesnacht mit Brünhild (Katja Sieder) verbringt. Da er sich nicht festlegen will, schickt sie ihn weg und Vater Wotan sorgt dafür, dass sie quasi uneinnehmbar wird. Siegfrieds Rache folgt ein Jahr später und so sieht man auf der Bühne den Brautwerbezug der Wormser nach Island schippern. König Gunther (Thomas Prazak), verschreckt und tollpatschig, fühlt sich von der Mission heillos überfordert. Seine beiden Brüder Gernot (Kai Windhövel) und Giselherr (Patrick Rupar) sorgen sich vor allem um die burgundische „Elegance“, mit der sie in der Fremde punkten wollen. Furchtlos und pragmatisch verkörpert Hagen (Sebastian Müller-Stahl) die Staatsräson. Mit Hilfe von Siegfried und seiner Tarnkappe wird Brünhild besiegt und muss sich wie eine Trophäe nach Burgund entführen lassen. Die nicht vollzogene erste Hochzeitsnacht kann sie als Triumph verbuchen, doch dann greift Siegfried wieder ein und die Schicksalsfäden führen schließlich erneut zum Wormser Domportal, wo Brünhild sich zumindest vor Kriemhild (Jenny Langner) behaupten will.
Nun werden aber die Fäden neu geknüpft und die beiden Frauen solidarisieren sich gegen die Männerwelt, die sie wie Ware behandelt: „Zwei gegen einen ganzen Hof“. Die Rache der beiden Frauen gelingt leicht, weil sie die Spielregeln kennen und wissen, wie man ein Wolfsrudel in die richtige Richtung lenkt. Herrlich absehbar die Jagdszene mit Wolfsgeheul und blutendem Hirschkopf, wo die Männer sich gegenseitig auslöschen, bevor die Frauen ihnen den Rest geben. Die burgundische „Zivilisation“ erweist sich als Schimäre, sie endet im Gemetzel.
Die fast drei Stunden dauernde Handlung wirkt durch ihre Vielschichtigkeit in keinem Moment langatmig. Sie lebt vor allem vom großartigen Zusammenspiel der beiden Frauen – Brünhild, die von Haus aus Kraft und Entschlossenheit ausstrahlt, und Krimhild, die zunächst als blondes Dummchen erscheint, aber sehr schnell beweist, dass man ihr als Schwester von drei Brüdern nichts vormachen kann. Ihnen gegenüber steht die Gruppe der selbstgerechten, Testosteron-gesteuerten Recken in trautem und vorhersehbarem Zusammenspiel. Die feministische Wendung des Stoffes erweist sich bei Schmalz als naheliegend, ohne dass eine moralisierende Neuinterpretation nötig ist. Ganz im Gegenteil, es mangelt der Aufführung nicht an erfrischender Komik. Zu ihrer Eindringlichkeit gehören auch die unaufdringlichen Video-Untermalungen und nicht zuletzt die großartige akustisch-musikalische Begleitung durch den vielseitigen Theatermusiker Stefan Leibold. Auch die fantasievollen Kostüme von Tutia Schaad verleihen dem Geschehen auf der Bühne einen eigenen Akzent. Die „Hidensaga“ in der Augsburger Aufführung ist ein vergnügliches Muss für jeden, der den Nibelungenstoff für ein verstaubtes Relikt aus dem Mittelalter hält.