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Samstag, 15.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Theater

„Mahagonny“ zum Brechtfestival: Der Sturm macht einen Bogen um Augsburg

„Where shall we go?“ – Wohin führt unser Weg? Diese Frage stellt sich am Ende der fast drei Stunden dauernden Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, eine Gemeinschaftsarbeit von Bertolt Brecht und Kurt Weill nach dem bewährten Muster der „Dreigroschenoper“. Keine Oper im klassischen Sinn, sondern ein Brecht’sches Lehrstück der Kapitalismuskritik mit der mitreißenden Musik von Kurt Weill.

von Halrun Reinholz

Die Uraufführung fand 1930 statt, in einer Zeit der Unsicherheit und der Konfrontation, einer Zeit von Extremismus und Kompromisslosigkeit, aber auch von grenzenlos scheinendem Kapitalismus. Irgendwie kommt einem das alles bekannt und sehr heutig vor und es ist deshalb wohl kein Zufall, dass diese Produktion der Beitrag des Staatstheaters zum diesjährigen Brechtfestival ist.

Mahagonny ist Augsburg.

Doch wie geht Kapitalismuskritik heute? Mit einem Donald Trump als US-Präsident feiern längst in Vergessenheit geratene und verdrängte Mechanismen des Brutal-Kapitalismus ein schauriges Comeback. Regisseur Jochen Biganzoli meistert den Spagat mit Bravour: Er inszeniert die Oper in Augsburg mit deutlichem Gegenwartsbezug, ohne jedoch in plumpe Analogien zu verfallen. Von Anfang an ist klar: Mahagonny ist Augsburg. Ein überschriebenes Ortsschild steht vor der Bühne und ein Film zeigt die Ankunft der drei Ganoven – Dreieinigkeitsmoses, Fatty und der Witwe Begbick – im Martinipark, nachdem sie mit ihrem Auto in der Wüste gestrandet sind. Genau hier gründen sie Mahagonny – eine Stadt, in der alles erlaubt ist, was Spaß macht. Hier kann jeder sein Glück suchen und sich das Geld aus der Tasche ziehen lassen – nur eines geht gar nicht: kein Geld haben.

  • „Where shall we go?“ - Foto: Jan-Pieter Fuhr
    „Where shall we go?“ - Foto: Jan-Pieter Fuhr

Für die Umsetzung sorgt ein gut eingespieltes Team. Die Witwe Leokadia Begbick (Kate Allen) und ihre beiden Lakaien Dreieinigkeitsmoses (Shin Yeo) und Fatty (Haozhou Hu als Gast) führen das Zepter in der an Las Vegas erinnernden Party-Stadt in der Wüste. Angezogen vom Glanz des Vergnügens sind die Holzfäller Jim Mahoney (Mirko Roschkowski als Gast) und seine beiden Kumpels Bill (Wiard Witholt, Joe (Avtandil Kaspeli) und Jakob (Jinjian Zhong) , die in Alaska viel Geld verdient haben, das sie nun mit vollen Händen ausgeben. Auch „leichte“ Mädchen suchen ihr Glück in Mahagonny, vor allem Jenny Hill (Sally du Randt), die eine Beziehung mit Jim Mahoney anfängt. Die restlichen Mädchen sind mit hervorragenden Chorsängerinnen besetzt und auch der „Herrenchor“ ist wiederholt im Einsatz. Gemäß den Brecht’schen Anweisungen spielt sich alles nah am Publikum ab – was im Martinipark gut durchzuführen ist: Eine Rampe vor dem Orchester ist im ersten Teil Hauptort der Aktion, Akteure treten im Saal auf und der Zuschauerraum wird immer wieder im Video gespiegelt.

Der Sturm macht einen Bogen um Augsburg, nachdem er München in Schutt und Asche gelegt hat

Vor der Pause steigt die Dramatik, denn ein Hurrikan nimmt Kurs auf Mahagonny (also Augsburg) und die Zuschauer werden mit dem Auftrag in die Pause geschickt, sich an den „Sammelpunkten“ einzufinden. Bei der Rückkehr in den Saal werden Warnwesten verteilt, doch das Video zeigt, dass der Sturm einen Bogen um Augsburg macht, nachdem er München in Schutt und Asche gelegt hat (ein willkommener Gag für das Augsburger Publikum) und das Leben in Mahagonny weitergeht, nach dem Motto: Fressen, Saufen, Boxen und Lieben. Nur für Jim ist das Urteil gnadenlos: Er wird hingerichtet, weil er kein Geld hat, um seine Schulden zu bezahlen. Im gleichen Prozess wird der Mörder Toby Higgins begnadigt, denn er hat Geld, um sich frei zu kaufen. Jim Mahoney kann weder auf seine Holzfäller-Freunde zählen noch auf Jenny, die sich von ihm abwendet. „Denn wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen auch keiner zu.“

Das Team der Darsteller brilliert musikalisch, aber auch mit einfallsreicher Bühnenpräsenz.

Doch die Oper lässt Spielraum für Zwischentöne und auch für Komik. Jochen Biganzoli gelingt es, in dieser Inszenierung den Fatalismus und die tragische Ironie als Gegenpol zur Katastrophenstimmung immer wieder durchscheinen zu lassen. Am Pult des Orchesters unterstützt ihn dabei Ivan Demidov, der zwischendurch mit Jim und Jenny einen Cocktail schlürft, aber den Dirigentenstab ansonsten konzentriert und präzise führt. Das Team der Darsteller brilliert musikalisch, aber auch mit einfallsreicher Bühnenpräsenz. Das gilt besonders für Mirko Roschkowski als Jim (zuletzt mit den Zügen eines tragischen Clowns) und Sally du Randt als Jenny. Video (Jana Schatz) und Licht (Dominik Scharbow) werden effektvoll, aber ohne Übertreibung eingesetzt. Das Ende ist, wie so oft bei Brecht, ernüchternd: Die Utopie hilft nicht weiter: „Können uns und euch und niemand helfen.“ Wo führt das hin? Man weiß es nicht.

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