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Samstag, 23.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Spekulation statt Diskussion

Die gekürzte „Mahagonny“-Oper im Stadttheater

Von Frank Heindl

Die 19. Szene werde „semi-konzertant“ gegeben, verkündete Intendantin Juliane Votteler vor noch geschlossenem Vorhang, und kaum war es losgegangen mit Brechts „Mahagonny“-Oper, da hetzten schon jene Affen über die Bühne, von denen man wusste: Sie hatten dazu beigetragen, dass sich die Intendantin/Dramaturgin mit der Regisseurin verkracht hatte. Spannung also, die von außen rührte und mit Brechts Stück zunächst mal nichts zu tun hatte.

Diesen zusätzlichen Kick, das anhaltende Bewusstsein, dass am Schluss ein paar Minuten fehlen würden, hätte sie, soviel gleich vorweg, nicht nötig gehabt – die Inszenierung jener Tatjana Gürbaca, die nun nicht mehr genannt werden möchte in Zusammenhang mit einer Produktion, bei der ihr einen Tag vor der Generalprobe das Heft aus der Hand genommen worden war. Für die operninterne Spannung sorgten allerdings zunächst weniger Bühne, Kostüme und Regie des Gürbaca-Teams, sondern vor allem Kurt Weills Musik und Dirk Kaftans Dirigat. Temporeich, drängend, akzentuiert, furios ließ dieser die bisweilen geradezu brutale Kraft der Weillschen Komposition aufleuchten – nein, dieser Sound ist nur wenig gealtert, auch wenn er nicht mehr die skandalöse Sprengkraft aus der Zeit seiner Entstehung hat.

Ein Kniefall und die Suche nach dem Licht – nicht nur die Augsburger „Mahagonny“-Inszenierung, auch Brechts Text sind voller religiöser Anspielungen.

Ein Kniefall und die Suche nach dem Licht – nicht nur die Augsburger „Mahagonny“-Inszenierung, auch Brechts Text ist voller religiöser Anspielungen.


Was es auf der Bühne zu sehen gab, verhielt sich im Verhältnis zur Musik dagegen anfangs eher zäh. Erst allmählich (und daher zu spät) wurde nämlich klar, dass die verhaltene Bewegung, die da zu sehen war, das oft schlichte Agieren der Personen, nicht schlechter schauspielerischer Leistung zu verdanken war, sondern wohl dem Willen der Regie. Da wurde, ganz im Brechtschen Sinne, aber doch in sehr konservativer Brecht-Auffassung, deutlich auf eine Weise geschauspielert, dass jeder erkennen musste, dass, ja eben: geschauspielert wurde. Sogar über den groß angekündigten Gaststar Anna Maria Kaufmann muss man sagen: zu „schön“ gesungen und somit an der Oberfläche geblieben.

Unaufhaltsam auf dem Weg in die Hölle

Doch das Unternehmen nahm ja im ersten Akt erst Fahrt auf – nach und nach schlug die Kraft der Musik auf Ensemble und Inszenierung durch. „Hallo, wir müssen weiter!“ – mit diesem sehr programmatisch zu verstehenden Satz beginnt das Brechtsche Libretto, und so, wie der Weg zur Hölle immer steiler und unaufhaltsamer wird und man trotzdem weiter muss, so rast auch die Geschichte der Wüsten- und Glücksstadt Mahagonny immer schneller dem Verderben zu. Die Oase im amerikanischen Nirgendwo, in der die glückshungrigen Goldsucher zunächst gewissen Regeln unterworfen sind, entledigt sich nach und nach der Fesseln der „Zivilis“. „Du hast Tafeln gemacht“, wirft John Mahoney in biblischem Zorn der Stadtgründerin vor – bald darauf ist alles erlaubt. Was anfangs paradiesisch anmutet (Gürbaca verdeutlicht es mit einem lebenden Adam-und-Eva-Standbild hinter durchsichtigem Vorhang), wird bald krasse Marktwirtschaft: Wer bezahlen kann, der kann hier Mädchen kaufen (auch kleine), darf sich totfressen oder andere totschlagen lassen – sogar die Richter sind ja käuflich.

Wehe aber, wenn einer pleite ist. Da können Herbergs-, Puff- und Stadtmutter Begbick und ihr Team schnell ganz, ganz böse werden. Jim Mahoney kann nicht mehr bezahlen, also wird er zum Tode verurteilt – so geht das halt im Kapitalismus. Er, der die Affenmoral des „du darfst“ gepredigt hat und dem es alle nachtun, muss nun als erster ins Gras beißen. Das Affenkostüm, in das er bei seiner Predigt der Morallosigkeit geschlüpft war, tragen mittlerweile auch die anderen, und schließlich binden sie ihn an einen Baum, der einem Kreuz recht ähnlich sieht – in der vorletzten Szene.

Ein Text voller biblisch-religiöser Anspielungen

Wenn Affen spielen, geht vieles zu Bruch. Anna Maria Kaufmann als Jenny. (Fotos: A.T. Schaefer).

Wenn Affen spielen, geht vieles zu Bruch. Anna Maria Kaufmann als Jenny. (Fotos: A.T. Schaefer).


Die letzte wollte Juliane Votteler dem Publikum nicht zeigen. Dass Tatjana Gürbaca eine leere Affenhaut am Kreuz baumeln lassen wollte, dass dann auch noch ein paar Päpste auftreten sollten, schien der Intendantin künstlerisch nicht stringent herausgearbeitet – da kann man allerdings auch anderer Ansicht sein. Tatsächlich strotzt Brechts Text vor biblisch-religiösen Anspielungen, und die Intendantin selbst sprach auf der Premierenfeier von einem John Mahoney, den die Handlung „vom Saulus zum Paulus“ läutere.

Möglicherweise hätte man die Szene, die man nicht gesehen hat, nicht so richtig verstanden, möglicherweise wäre einem der neutestamentarische Vergleich allzu gesucht vorgekommen. Man hätte dann allerdings wenigstens etwas Handfestes zum Diskutieren gehabt, anstatt mit vielmals „möglicherweise“ spekulieren zu müssen. Zu diesen Spekulationen gehört ja auch, dass erst mit dem Schlussbild die Inszenierung „rund“ geworden wäre. Eine Distanzierung der Theaterleitung, zwei Streit-Texte im Programmheft – das alles wäre spannender, produktiver und kreativer gewesen als diese Vermutungen. Und „brechtiger“ möglicherweise auch: BBs Werk kann man eine Vielzahl von Eigenschaften zuschreiben – dass es gradlinig, schlüssig und stringent auf eine klar zu definierende Aussage hinsteuern würde, wäre eine eher wagemutige Behauptung.

Das Premierenpublikum geizte nicht mit Applaus für eine auch in den Augen der Intendantin „spannende, sehr interessante“ Inszenierung. Es hätte wohl auch die spannende Auseinandersetzung um einen spannenden Schluss vertragen.

» Kommentar: Ein Schaden für die Stadtkultur