„Strukturelle Probleme müssen strukturell bearbeitet werden“
Warum sich die Finanzlage der Stadt Augsburg ohne Gemeindereform nicht verbessern lässt
Ein Kommentar von Jochen Mack
Der Blick über die Iller muss für Augsburger Haushaltspolitiker eine Folter sein. Die Stadt Ulm investierte im letzten Jahr 100 Millionen Euro, rechnet mit einem Nullergebnis 2015 und will 2016 die Schulden reduzieren. In Tübingen wird die Stirn in Falten gelegt, weil man befürchtet, die Rücklagen angreifen zu müssen, um den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung finanzieren zu können. Das sind nur zwei beliebig herausgegriffene Beispiele.
Dagegen kommt es in der Stadt Augsburg zu heftigen Turbulenzen, wenn die Sanierung des Stadttheaters mit einer Eigenbeteiligung von insgesamt 90 Millionen Euro realisiert werden soll. Der städtische Haushalt wird von der Regierung von Schwaben nur mit großen Bauchschmerzen genehmigt. Viele Sanierungen von öffentlichen Gebäuden werden aufgeschoben. Und das alles, obwohl in den letzten Jahren die Steuereinnahmen konstant hoch waren. Im Haushalt 2016 werden wohl zirka 168 Millionen Euro im Vermögenhaushalt bilanziert. Das wäre ein neuer Rekord. Zur Erinnerung: In der Wirtschaftskrise 2001 waren die Gewerbesteuereinnahmen auf knapp über 60 Mio. Euro geschrumpft. Heute bescheren die gute Konjunktur und die niedrige Arbeitslosigkeit der Stadt ständig neue Rekordeinnahmen. Dennoch reichen die steigenden Erträge auf der Einnahmenseite nicht aus, um der Stadt auf die Füße zu helfen.
Man will sich gar nicht vorstellen, wie sich eine erneute Wirtschaftskrise auf die Augsburger Finanzen auswirken würde. – Ein wichtiger Grund für diese Haushaltsmisere ist eine zu lässige Finanzpolitik der letzten Jahre: Mehrkosten beim Umbau des Curt-Frenzel-Stadions, ein unverhältnismäßig großer Ausbau der Verwaltung, Mehrkosten beim Königsplatz-Umbau und anderes haben ihren Teil zu einer steigenden Verschuldung der Stadt beigetragen.
Der andere Hauptgrund für diese Malaise wird aber mit einem Blick auf die Landkarte sichtbar. In der völlig verkorksten Gebietsreform von 1972 wurden zwar unter anderen Inningen und Bergheim eingemeindet, fatalerweise aber weder Neusäß, Steppach, Gersthofen, Stadtbergen oder Leitershofen. Und das hat drastische Konsequenzen: Gerade in diesen „Stadtteilen“ haben sich überdurchschnittlich viele wohlhabende Menschen angesiedelt. Diese nutzen zwar die Augsburger Infrastruktur mit (Theater, ÖPNV, Schulen, …), zahlen ihre Steuern aber im Speckgürtel. – Auch dadurch hat das Oberzentrum Augsburg eine sozial unausgewogene Bevölkerungsstruktur und damit verbunden größere soziale Probleme und geringere Steuereinnahmen. Zusätzlich muss sie noch die Kosten für große Infrastrukturmaßnahmen tragen. Sie unterhält zum Beispiel das Theater, viele Schulen und Einrichtungen der Kinderbetreuung und bringt „nebenbei“ ihren Nahverkehr mit hohen Kosten auf einen neuen Stand.
Diese ohnehin schon schwierige Situation begünstigt eine sich verschärfende Dynamik: Da es den Umlandgemeinden vergleichsweise sehr gut geht, können sie auch bei den Steuern Entgegenkommen zeigen. Deshalb sind alle Steuern, die Kommunen festlegen, in der direkten Nachbarschaft deutlich niedriger. Wird die Stadt Augsburg in ihrer Not, wie geplant, die Gewerbesteuer jetzt deutlich erhöhen, wird sie zirka ein Drittel höher besteuern als die direkt angrenzenden Nachbarstädte. Weshalb absehbar ist, dass Unternehmen, die ja die Infrastruktur trotzdem voll nutzen können, in die Randlagen ausweichen werden. – In dieser loose-loose-Situation würde auch eine neoliberale Sparwelle langfristig nicht weiter helfen. Dadurch könnten zwar die Ausgaben kurzfristig gesenkt werden. Dies würde aber entweder zu Lasten der Substanz gehen, weil Sanierungen aufgeschoben werden müssten oder aber stark auf Kosten der Lebensqualität gehen, weil viele der sogenannten „freiwilligen Leistungen“ also Zuschüsse für Sport oder Kultur gekürzt oder gestrichen werden müssten. Und eine Stadt mit einer schlechten Lebensqualität ist unattraktiv für mögliche neue Bewohner – aber auch für ansiedlungswillige Unternehmen oder Forschungseinrichtungen.
Als wäre das nicht genug, schultert die Stadt Augsburg auch noch einen Löwenanteil bei gemeinsam getragenen Institutionen. Sei es das Klinikum, die Messe, die Tourismusförderung oder der Nahverkehr – immer wird der gemeinsame Nutzen für Augsburg Stadt und Land verkündet, aber immer ist es so, dass die Stadt Augsburg überproportional zahlt. Vor allem: Es gibt keine festgesetzten Schlüssel, sondern es wird bei jedem Projekt neu verhandelt.
Dass diese Diagnose nicht neu ist, zeigt die Tatsache, dass die Stadt Augsburg jährlich große Summen als sogenannte „Schlüsselzuweisung“ vom Freistaat Bayern bekommt. Für das Jahr 2016 sind das stolze 126 Millionen Euro. Damit sollen strukturell schwach aufgestellte Kommunen unterstützt werden.
Man fragt sich aber, warum sich niemand dazu berufen fühlt, die Strukturen so zu verändern, dass Augsburg seinen Haushalt wieder aus eigener Kraft bewältigen kann.
Das ginge jedoch nur über eine neue und dieses Mal konsequente Gebietsreform. Es gibt es keine Alternative zu einer schlagkräftigen und handlungsfähigen Region wie in Stuttgart. Hier könnten Nahverkehr, Klinikum, Messe und Tourismusförderung gemeinsam organisiert werden – mit einer fairen Verteilung der Lasten. Und man sollte sich hier auf gemeinsame Steuersätze einigen, um einen Wettbewerb nach unten zu verhindern.
Eine große Aufgabe, ein weiter Weg. Aber es würde sich lohnen, auch für die kleinen Städte. Denn niemandem ist auf Dauer geholfen, wenn das eigene Oberzentrum schwächelt und keine gute und funktionierende Infrastruktur gewährleisten kann. Je größer die Aufgaben sind, desto stabiler müssen die öffentlichen Einrichtungen funktionieren. Deshalb muss dieses Thema für Augsburg schnellstmöglich angegangen werden – und zwar strukturell!