Volker Schafitel im DAZ-Interview zur Theatersanierung: Das Projekt ist kostenmäßig und planerisch längst aus dem Ruder gelaufen
Die Geschichte der aus dem Ruder laufenden Kosten und einer von Einsparungen verhunzten Planung kennt außerhalb des Büros Achatz und der zuständigen städtischen Verwaltung wohl nur Volker Schafitel genau, der von 2014 bis 2020 im Stadtrat saß. Schafitel, von Beruf Architekt, gilt als einer der kompetentesten Kritiker der Theatersanierung.
DAZ: Herr Schafitel, die neue Stadtregierung, allen voran OB Eva Weber, tut aktuell so, als wäre die neue Kostenentwicklung in Sachen Theatersanierung für den Stadtrat “bewusst gewesen”, da die Stadt transparent und seriös gehandelt habe. Sie waren damals Stadtrat, als die Stadt transparent gehandelt haben will. Teilen Sie Frau Webers Auffassung?
Schafitel: Die Stadt hat in erster Linie politisch gehandelt. Dies ist die gängige Praxis, um Großprojekte den Entscheidungsgremien und der Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Es begann damit, dass OB Kurt Gribl aus der Staatskanzlei den Auftrag erhielt, das gesamte Sanierungsprojekt deutlich unter 200 Millionen zu drücken.
DAZ: Das muss im Frühjahr 2015 gewesen sein.
Schaftitel: Genau. Daraufhin gab es im Juli 2015 eine Kostenschätzung von Herrn Achatz, in der die eingangs angeführten Gesamtkosten für das Große Haus (Bauteil I) von 119.420.081 Euro auf 113.500.000 Euro und für die Neubauten (Bauteil II) von 102.500.000 Euro auf 75.300.000 Euro reduziert wurden. Die ursprünglich vorgestellten Gesamtkosten für Bauteil I und II wurden also von 221.920.081 Euro auf 188.800.000 Euro reduziert.
DAZ: In der Planung, wie es politisch verlangt wurde. Aber wie Sie bereits sagten, handelte es sich um eine Kostenschätzung, aber noch um keine Kostenberechnung!
Schafitel: Diese Reduzierung wurde vom Büro Achatz jedoch exakt auf Kostengruppen verteilt und begründet, also nicht willkürlich herunter gerechnet. Diese Kostenschätzung basierte auf einem Baupreisindex von 20 Prozent bei einem angenommenen Ausschreibungszeitraum bis 2017. Es wurde damit dem Stadtrat dargelegt, man habe die gesamte Kostensteigerung für das Projekt einkalkuliert.
DAZ: Und so den Stadtrat und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt?
Schafitel: Das will ich so nicht sagen, da die damalige Finanzreferentin Eva Weber mit ihrer Finanzierungsmatrix wohl selbst davon ausgegangen ist, dass die Gesamtkosten 186,3 Millionen betragen. Hätte sie damals mit den jetzt aktuellen Baukostenerhöhungen gerechnet, hätte sie eine andere Kreditaufnahme anvisieren müssen. Ich nehme nicht an, dass Frau Weber eine Kreditfinanzierung zu niedrig ansetzt, um den Stadtrat und die Stadtgesellschaft bezüglich der Gesamtkosten hinters Licht zu führen. Sowohl die Wirtschaftsreferentin als auch der Stadtrat gingen also bei den Beschlüssen von einer Endsumme inklusive Baukostensteigerung bis zur Fertigstellung aus. Ganz nebenbei hat die SPD den Beschluss ja auch nur unter der Bedingung des Kostendeckels von 186.3Mio Euro mitgetragen.
DAZ: Hat sich an dieser Einschätzung im Laufe der Zeit nichts geändert?
Schafitel: Hat sich und hat sich nicht. In der Stadtratssitzung am 30.November 2017 stellte Architekt Achatz dem Stadtrat einen Bericht zu den Kosten und Terminen für Bauteil I und II vor. Die Grundlage dazu war die von der Kostenschätzung zur genaueren Kostenberechnung erstellte Tabelle, die für das Bauteil I exakt 113.500.000 Euro angab, wobei der Puffer von 22.700.0000 Euro auf 4.501.331 weggeschmolzen ist.
DAZ: Der eigentliche Aufreger sind doch bisher die Neubauten.
Schafitel: Aber nur deshalb, weil es für das Bauteil I noch keine aktualisierten Zahlen gibt. Für das Bauteil II gab es 11/2017 nur einen Kostenrahmen. Dort lag die Gesamtsumme bei 72.799.250 Euro. In dieser Berechnung wurde auf die Indexierung auf das 1.Quartal 2017 hingewiesen. Dies bedeutet, die Kostensteigerung ist nur für diesen Zeitraum berechnet. Um diese Kosten zu halten, hätte zum 1.Quartal 2017 alles ausgeschrieben und vergeben sein müssen. Die Zeitangaben auf der Berechnung von Achatz sind auch verwirrend: Ausgehend von einer Kostenberechnung vom 09.11.2016 sind die Kosten auf das 1. Quartal 2017 indiziert. Die Berechnung wurde aber 11 Monate später am 30.11.2017 dem Stadtrat vorgestellt.
DAZ: Und?
Schafitel: Laut dem dazu beigelegtem Terminplan sollten aber die Ausschreibungen für Bauteil I erst im Mai 2020 abgeschlossen sein und bei Bauteil II im Mai 2021. Dies bedeutet eine weitere indexierte Baukostensteigerung über drei Jahre für Bauteil I und vier Jahre für Bauteil II. Diese wurde aber dem Stadtrat so nicht deutlich gemacht.
DAZ: Wann soll das gewesen sein sein?
Schafitel: Sagte ich das nicht? 2017! — Zwei Jahre später, also genau in der Stadtratssitzung am 25.07.2019, präsentierte Architekt Achatz im Zusammenhang der ersten Kostensteigerung bei Bauteil II, die mit Brandschutz und Grundwasserstand und diversen Zusatzanforderungen erklärt wurde, eine mit 12.5 Prozent indexierte Baukostensteigerung seit Dezember 2016 in Höhe von 9.099.906,20 Euro auf eine Gesamtsumme von exakt 125.854.733,63 Euro. Damit gab sich der Stadtrat noch nicht geschlagen. — Durch Einsparungen bei den Kellerlagerräumen und die Errichtung des Schauspielhauses an der Stelle, wo der Orchesterprobensaal geplant war, sollte eine Gesamtbausumme für Bauteil II von 92.300.000 erreicht werden.
DAZ: Mit oder ohne Baukostenindex?
Schafitel: Die von Achatz 07/2019 konkret angegebene Indexsteigerung von 12,5 Prozent war zum Zeitpunkt 07/2019 nicht zulässig, da sie bezogen wurde auf 12/2016 und nicht auf 11/2017, wo der Stadtrat keinen konkreten Hinweis auf die indexierte Kostensteigerung erhielt. Davon abgesehen wurde dem Stadtrat suggeriert, es handle sich auch bei der Kostensteigerung 07/2019 um endgültige Zahlen. Es wurde kein Beschluss für die Planänderung gefasst, sondern Achatz sollte die damaligen Vorplanungen konkretisieren und mit zuverlässigen Kosten später wieder im Stadtrat vortragen.
DAZ: Was er dann auch deutlich nach der Kommunalwahl gemacht hat.
Schafitel: Richtig! Das Ergebnis dieser Konkretisierung wurde in der letzten Stadtratssitzung im Juni veröffentlicht und von Achatz mit 115.000.000 Euro beziffert. Plötzlich ist von Einsparungen bei Lüftung und Bühnentechnik die Rede, die zu „dicker Luft“ im kleinen Haus geführt hätten. Dabei beinhalteten die Einsparungen 07/2019 auf 92.300.000 Euro hauptsächlich die Reduzierung von Lageräumen im Kellergeschoss und die Auslagerung des kleinen Hauses an die Volkhartstraße. Damit sind wir bei einer unerwarteten Kostensteigerung von 42 Millionen Euro für das Bauteil II hängen geblieben, also beim Neubau, bei dem der Architekt immer behauptet hat, die Kalkulation sei Dank seiner Erfahrung und Kompetenz sicher und seriös und deswegen sei auch kein Risikopuffer nötig.
DAZ: Bleibt es beim Bauteil II bei den nun vorgestellten Kosten – oder sind das ebenfalls noch nach oben verschiebbare Kostenzwischenstände?
Schafitel: Bereits 2017 habe ich auf eine Baupreissteigerung von 5 Prozent pro Jahr laut Statistischem Bundesamt hingewiesen, die erst mit der Auftragsvergabe also der letzten Ausschreibung sein Ende findet. Dieses Ende ist aber bei Bauteil II noch lange nicht in Sicht, da man erst in der Vorentwurfsphase steckt und die endgültige Planung vom Stadtrat noch gar nicht beschlossen ist.
DAZ: Sie sagten kürzlich im lokalen TV, dass sie davon ausgehen, dass die Gesamtkosten wohl an die 400 Millionen-Grenze heranreichen werden. Wie kommen sie zu dieser düsteren Prognose?
Schafitel: Bei der Kostenaufregung um Bauteil II gerät die künftige Kostenentwicklung im Bauteil I aus dem Blickwinkel. Dort ist bereits die Risikoreserve von 22.700.000 auf 4.501.331 Euro abgeschmolzen, obwohl noch kein Stein bewegt wurde. Augenwischerei ist natürlich auch die bereits durch Vergaben erlangte 30-prozentige Baukostensicherheit, denn vergeben wurden hauptsächlich 30 Prozent Planungsleistungen (Nebenkosten) und diese hängen derzeit ausschließlich an der Kostenberechnung. An dieser wurde aber nichts verändert. So wird der Stadtrat auch beim Bauteil I zur Annahme geleitet, dass die anvisierten 113 Millionen eine sichere Zahl ist. Doch das ist eine Täuschung! Nachdem die Risikoreserve bereits fast aufgebraucht ist, schlagen künftige Kostensteigerungen, die bisher in dieser Reserve Unterschlupf fanden, voll auf die Gesamtbausumme.
DAZ: Dabei singt der Augsburger Baureferent stets ein optimistisches Liedchen.
Schafitel: Glauben machen zu wollen, Firmen würden aus Prestigegründen bei der Theatersanierung besonders günstig anbieten ist die pure Verzweiflung nach dem Motto „die Hoffnung stirbt zuletzt“ und hat mit der Realität nichts zu tun.
DAZ: Noch ein Wort zur Planung. Wie gefällt ihnen das Projekt als Architekt?
Schafitel: Die Entwicklung der Kosten lenkt von den Planungsverrenkungen ab, die der kostengetriebene Architekt vollzieht. Da wird plötzlich die Ente zur Gans aufgeblasen und aus dem Orchesterprobensaal wird ein Schauspielhaus. Für solche Projekte finden im Normalfall internationale Architektenwettbewerbe statt. Betrachtet man die Entwicklung, ist das Projekt kostenmäßig und planerisch längst aus dem Ruder gelaufen. Die nächsten Kostenerhöhungen kommen mit den Ausschreibungen und während der Bauausführung. Besonders bei der Sanierung des Großen Hauses werden die Kosten bis zum Einzug die aktuellen Prognosen sprengen.
DAZ: Herr Schafitel, vielen Dank für das Gespräch.