Vorurteile und Klischees in Ost und West
Vortrag zur Islamwissenschaft
Für gläubige Muslime ist Europa jahrhundertelang geradezu intentional eine „terra incognita“ geblieben – ein unbekanntes Land. Nach Sicht der islamischen Rechtsgelehrten war Europa das klassische „Haus des Krieges“, das „Land des Unglaubens“ und damit eine Region, in der man buchstäblich „nichts verloren“ hatte und über die sich kundig zu machen mit dem Glauben schwer vereinbar schien. Wer deshalb glaubt, nur der Islam sei dem Westen fremd gewesen, unterliegt einem gewaltigen Irrtum: die Unkenntnis war durchaus gegenseitig. Der vom Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg eingeladene Islamwissenschaftler Prof. Dr. Michael Ursinus (Heidelberg) spricht am kommenden Montag, 6. Juni in der Universität zum Thema „Die muslimische Entdeckung Europas“.
Weit verbreitet waren auch islamische Klischees vom Abendland, darunter das Zerrbild von der dort angeblich schrankenlosen Freizügigkeit zwischen den Geschlechtern. So, wie umgekehrt im Abendland lange das mittelalterlich-christliche Zerrbild vom Islam als einer Religion hemmungsloser Genusssucht gegolten hatte. Besonders der Vorwurf, der Koran selbst toleriere – neben anderen als pervers eingestuften Spielarten sexueller „Verdorbenheit“ – homosexuelle Praktiken, ja gestatte sie sogar, eignete sich glänzend zur Diffamierung des Gegners.
Ein Klischee ist nicht nur Zerrbild, sondern auch Hemmschuh vertiefter Erkenntnis. Im Rahmen des Vortrags wird von vielerlei Erkenntnisschranken die Rede sein, die das Bild Europas in den muslimischen Gesellschaften eingeengt, getrübt oder entstellt haben. Es soll gezeigt werden, dass die muslimische Welt, von der aus Reisende bereits im frühen Mittelalter in die Gebiete der Christenheit gelangt waren, infolge solch kognitiver Schranken Europa eigentlich erst im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts „entdeckt“ hat.
Prof. Dr. Michael Ursinus, geb. 1950, studierte Islamwissenschaft, Turkologie, Afrikanistik sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg. Ab 1989 war Professor für Islamwissenschaft/Turkologie am Orientalischen Seminar der Universität Freiburg, seit 1992 hat er den Lehrstuhl für Islamwissenschaft am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Universität Heidelberg inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Provinzialgeschichte des Osmanischen Reiches, osmanisches Urkundenwesen und Paläographie, die Nichtmuslime in den islamischen Gesellschaften, die Geschichtsschreibung im Osmanischen Reich der Spätzeit sowie die Zeitungs- und Pressegeschichte des Osmanischen Reichs, Irans und Russlands.
Der Vortrag von Prof. Ursinus beginnt am Montag, 6. Juni um 18.00 Uhr c.t. im Hörsaal III der Universität Augsburg.