Was machen wir nur mit unserem Stadttheater?
Warum das Stadttheater-System keine Zukunft hat
Kommentar von Siegfried Zagler
Das deutsche Theatersystem befindet sich in der Krise. Es stiftet weder einen Zusammenhalt der Stadtgesellschaften noch hilft es bei der Integration des Fremden. Es ermöglicht weder die kritische Reflexion des Strebens nach Vollkommenheit noch schützt es vor den Dämonen der Globalisierung. Dabei sollten die Programme der Theater, sollte der Ausgang aus der unverschuldeten Unmündigkeit einst die „weltfremden“ Versprechungen der Religionen ersetzen. Die deutschen Großtheater sind dabei mit ihrem Aufklärungseifer an der eigenen Selbsterhöhung gescheitert. Die Stadttheater müssen sich immer stärker bezüglich ihres gesellschaftlichen Auftrags hinterfragen lassen, das ist nicht nur in Augsburg so.
Legitimationsdefizite erzeugen Spardruck. Dabei sieht es auf den ersten Blick großartig aus: 143 städtische Bühnen sowie 131 Orchester, 218 Privattheater und 73 Festspiele gehören zur einzigartigen deutschen Theaterlandschaft, über 35 Millionen Besucher zieht sie pro Jahr in ihren Bann. Sieht man aber genauer hin, fällt auf, dass in den letzten 50 Jahren der Publikumszuspruch um gut eine Million Zuschauer pro Jahrzehnt sinkt. Die Bedeutungshoheit der subventionierten Repräsentationsbühnen hat sich hinsichtlich der Herausforderungen der Moderne verflüchtigt. Mit einem Besuch in einem Theater ist längst nicht viel mehr als ein Unterhaltungsanspruch verbunden. Popkonzerte, Filmkunst und andere Formate sind für 95 Prozent der deutschen Bevölkerung längst nicht mehr niederschwelliger als ein Besuch in einem ortsansässigen Theater.
Die Theater versuchen diesem Trend entgegenzuwirken. Veranstaltungen wie Lesungen, Podien, Symposien haben in den letzten Jahren heuschreckenartig zugenommen. Die Anzahl der Spielstätten wurde verdoppelt, ohne der Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Mit immer größeren Anstrengungen erreicht man immer weniger Zuschauer. Zugleich wurde Personal abgebaut. Anfang der 90er Jahre waren deutschlandweit noch 45.000 Menschen im Theater beschäftigt, heute sind es noch 38.000. Gegenläufig haben sich sich die Kurzarbeitsverträge in diesem Zeitraum verdreifacht. Die Zunahme der prekären Arbeitsverhältnisse und projektgebundenen Honorare sind die Antwort auf den Sparzwang der Kommunen, deren Haushaltskulissen einen Stadttheater-Unterhalt im traditionellen Sinn politisch immer fragwürdiger erscheinen lassen. Für das Augsburger Stadttheater mit seinen knapp 380 Beschäftigen reichen zirka 24 Millionen Euro „Subventionszulage“, davon zirka 15 Millionen aus dem Augsburger Stadtsäckel, nicht zum Leben, nicht zum Sterben, während die Stadt Augsburg sich diese Beträge für den normalen Betriebsunterhalt ihres Stadttheaters jedes Jahr aufs Neue unter großen Schmerzen aus dem mageren Fleisch ihres Haushaltes schneidet, der von der kommunalen Aufsichtsbehörde nur noch mit Auflagen und drohendem Zeigefinger genehmigt wird.
Das „Kunstproblem“ ist nicht weniger gravierend: Zirka 90 Prozent der Zuschüsse werden von den „nichtkünstlerischen Angestellten“ des Stadttheatersystems aufgebraucht, weil sie nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Das System frisst die Kunst, statt sie zu fördern.
Ein weiteres Strukturproblem sind die Gehaltsdifferenzen auf der „Künstlerebene“, die weder mit Lohnabstandsgeboten noch mit üblichen Gehaltsdifferenzen beruflicher Standards zu rechtfertigen sind. Es gibt wohl außerhalb der Fifa kaum eine andere Firma, die ihre Existenz mit einem gesellschaftlichen Auftrag rechtfertigt, aber zugleich Gehaltsscheren abbildet, die an feudalistische Strukturen erinnern – wie das bei den deutschen Stadttheatern der Fall ist. Schauspieler bekommen im Schnitt in etwa 2.500 Euro brutto im Monat. Intendanten verdienen nicht selten das zehnfache. Hospitanten und Praktikanten, ohne die die Theater nach eigener Einschätzung schließen müssten, arbeiten in der Regel ohne Bezahlung, was nichts daran ändert, dass das personalintensive Theaterbetriebswesen kostensenkend nicht geführt werden kann.
Während also die Kosten für den normalen Theaterbetrieb jährlich zunehmen, nimmt die Relevanz der Theaterkunst ab – und somit auch die Akzeptanz der Schmerzen, die die Kosten bereiten. Die Stadttheater stehen vor einer grundlegenden Neustrukturierung. Drückt sich die Politik davor, implodiert mittelfristig das gesamte System. Ein System, das Subventionen zu 90 Prozent zum Systemerhalt verwendet, verliert dauerhaft Anspruch auf Förderung. Von Theaterleitern, die wie Fürsten agieren, ist keine Reformhilfe zu erwarten. Die Kulturpolitik der Kommunen ist aller Regel von durchschlagender Inkompetenz gezeichnet.
In Augsburg haben sich nach Bekanntwerden der Sanierungspläne für das Augsburger Stadttheater Bürger mit einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Kurt Gribl gewendet. Die Planung aus dem „verborgenen Nichts der Stadtverwaltung“ solle gestoppt werden, das gigantische Projekt, das ursprünglich mit 235 Millionen Euro Kosten veranschlagt war, neu gedacht und öffentlich diskutiert werden, dann könne man wieder planen. Das Resultat aus den Gesprächen der Bürger mit Vertretern der Stadt: Ein Bürgerbeteiligungsprozess zur Frage, wie die Zukunft des Theaters aussehen soll. Die Sanierungskritiker haben sich inzwischen von diesem Prozess distanziert, weil er aus ihrer Sicht eine Farce darstellt, und sie werden wohl nach Gemeindeordnung §18 a in Sachen Theatersanierung ein eigenes Bürgerbeteiligungsverfahren starten. Ob damit der erste Schritt eines langen Marsches, der aus der Strukturfalle herausführt, unternommen wird, gehört zu den spannenden Fragen der kommenden Monate.
Dem zukünftigen Intendanten, Andre Bücker, der genau dann seinen Job in Augsburg beginnt, wenn 2017 die Sanierung des Großen Hauses anlaufen soll, kann das alles ziemlich „wurscht“ sein. Er wird seine erste Intendanz in Augsburg ohne Großes Haus über die Bühne bringen müssen. Möglicherweise findet Bücker unter diesen Bedingungen sogar eine beunruhigende Antwort auf die Frage, welche Richtung das Stadttheater der Zukunft einschlagen soll.