Wie der Baal unter den Bann fiel
Regisseur Volker Schlöndorff im DAZ-Gespräch
Von Frank Heindl
Regisseur Volker Schlöndorff im Gespräch mit DAZ-Redakteur Frank Heindl (links) im Thalia-Kaffeehaus (Foto: Zagler).
Am vergangenen Freitag zeigte Volker Schlöndorff im Augsburger Mephisto- Kino seinen 1969 gedrehten Film „Baal“ nach Bertolt Brecht. 45 Jahre lang hatten die Brecht-Erben den Film verboten und damit der Öffentlichkeit vorenthalten (DAZ berichtete). Schlöndorff, vor wenigen Tagen 75 Jahre alt geworden, beantwortete im Anschluss an den Film Publikumsfragen – und diskutierte danach bis nach Mitternacht mit DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler und Redakteur Frank Heindl.
Am Tisch sind wir nicht ganz allein mit dem Oscar-gekrönten Starregisseur: Eine interessierte Dame aus dem Publikum holt Schlöndorff mit an den Tisch, die Crew des Kinodreiecks sitzt ebenfalls vorübergehend mit dabei – und sorgt unter anderem dafür, dass der Wein nicht ausgeht. Schlöndorff ist entspannt, redselig, unkompliziert. Er hat den „Baal“ seit seiner Wiederzulassung beispielsweise in Oldenburg, Düsseldorf, Tübingen gezeigt – „und überall war’s voll, sogar in Dießen am Ammersee!“ Doch so positiv war die Publikumsresonanz nicht immer. Damals, 1970, nachdem der Film vor dem Verbot ein einziges Mal im Fernsehen gezeigt worden war, habe man den Baal „noch nicht als das Meisterwerk gesehen, als das der Film heute bezeichnet wird.“ Großkritiker Joachim Kaiser sei einer der wenigen gewesen, die positiv kommentiert hätten. Der mittlerweile 85-Jährige habe sich dann auch kürzlich eigens ins Münchner „Eldorado“ fahren lassen, um den Film noch einmal zu sehen. Wie er ihm diesmal gefallen hat, ist nicht bekannt, man munkelt, er leide unter beginnendem Alzheimer.
Ein Film-Bann in der Sprache des Vatikans
Schon im Publikumsgespräch hatte Schlöndorff betont, die Reaktion der Brecht-Erben auf seinen Film, ihr restriktiver Umgang mit dem Urheberrecht ähnle dem Verhalten des Vatikans. Barbara Brecht-Schall habe ihm geschrieben, ihre Mutter Helen Waigel habe damals den Film „zu Recht mit einem Bann belegt“ – die Sprache der Kirche, wie Schlöndorff findet, „das ist einfach nicht zu erklären.“ Nun, im Kaffeehaus, wird er deutlicher: „Eine Katastrophe“ sei das, wie die Nachkommen mit Brecht umgingen – obwohl er aus seiner Berufsarbeit solche Probleme gewohnt sei: Bei seiner Verfilmung des „jungen Törleß“ von Robert Musil seien dessen Erben „auch schon wahnsinnig schwierig“ gewesen.
„Das Besondere an einer Brecht-Verfilmung“ sei damals nicht wahrgenommen worden. Der Film ist ein Produkt der späten 60er, das sieht man ihm sofort an. Amateurhaft sollte er wohl wirken, einige der Schauspieler waren gänzlich unerfahren. „Die Theaterleute fanden das damals einen ungeheuren Dilettantismus. Meine Schauspieler kamen nicht von der Falckenberg-Schule, keiner hat so gesprochen, wie die am Theater das für richtig hielten.“ Und auch Klaus Doldingers Brecht-Vertonungen klingen eher nach den Doors als nach einer eigenständigen Handschrift.
Aber Fassbinder spielt den Baal!
Aber der junge, damals noch gänzlich unbekannte Rainer-Werner Fassbinder spielt den Baal! In diesem höchst existenzialistischen Baal schlummern die Aggression, der Frust an der Welt, das Asoziale und Selbstzerstörerische so unterdrückt-verdruckst und doch zum Bersten offenkundig und gefährlich, wie man es besser kaum darstellen könnte. Niemand muss im Film von Verachtung für die Welt sprechen, von Hass auf die beengende Gegenwart, wenn Fassbinder sie derart beredt spielt. Fassbinder also als der ideale Darsteller des Baal, weil er eh schon Baal war? Schlöndorff hat da noch eine ganz andere Theorie: „Fassbinder hat im Baal eine literarische Vorlage für sich selbst gefunden. Er hat den Baal gespielt und dann diesen Tonfall für sich übernommen, er hat möglicherweise sein weiteres Leben am Baal orientiert.“
Dabei war es eher ein Zufall, dass Schlöndorff auf Fassbinder stieß – er hatte die Rolle zuvor schon, man mag es kaum glauben, Daniel Cohn-Bendit angetragen. Doch dann sah er Fassbinder in dessen kleinem Theater, und der Funke sprang über: „Das Interessante daran ist: Sie fangen ein Filmprojekt an, weil Sie von einem Text ausgehen. Aber dann finden Sie einen Darsteller, ohne den das Projekt plötzlich gar nicht mehr vorstellbar wäre.“ Und der Berserker, als der er später dargestellt wurde, scheint Fassbinder zumindest beim Projekt Baal noch nicht gewesen zu sein: „Wir haben Tag für Tag geprobt, in eine Halle des Bayerischen Rundfunks, mit Kreidestrichen am Boden, mit Sprech- und Spielvarianten und ewiger Probiererei, wir waren ein ganz normales Filmteam, keine Drogen, kein Alkohol, vielleicht mal ein Bier…“
Die Filmfreaks sterben nicht aus
Wenn man bei großen Online-Anbietern wie „maxdome“ nach Filmen von Volker Schlöndorff sucht, findet man nicht viel. Wer sich nicht auskennt, könnte einen sehr falschen Eindruck von Schlöndorffs Schaffen bekommen. Ärgert sich ein großer Regisseur über solche Entwicklungen? „Einerseits hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine ähnliche Verantwortung für das filmische Gedächtnis wie die Stadtbücherei für das literarische. Aber andererseits wissen wir ja nicht, was kommt. Als wir den ‚Törleß‘ gedreht haben, da habe ich geglaubt, von dem Film wird nicht viel bleiben. Aber wir haben damals nichts geahnt von TV-Wiederholungen, von hundert Programmen, von VHS, DVD, Internet, Filmportalen. Ich bin eher dankbar, dass Filme jetzt an so vielen Stellen präsent sind. Und die Fans und Liebhaber sterben nicht aus – überall in der Provinz finden Sie Leute, Filmkenner, Freaks, die haben die abstrusesten Sachen drauf. In Frankreich gibt’s schon seit mindestens 15 Jahren Film, Filmgeschichte, Filmanalyse als Abiturfach. Da müssen wir uns nicht so große Sorgen machen.“
Und nach dem Baal? „Schon beim ersten Film kriegen Sie ein Etikett verpasst. Der ‚Törleß‘ war eine Literaturverfilmung, das ist mein Etikett geblieben.“ Verändert hat sich Volker Schlöndorff trotzdem. Weg vom Duktus des linken Filmemachers, hin zum Oscar und zur goldenen Palme für die „Blechtrommel“, hin zu Proust („Eine Liebe von Swann“) und Frisch („Homo Faber“). „Es kann sein“, räsoniert der Regisseur, „dass meine Karriere anders verlaufen wäre, wenn ich mich auf die Radikalität festgelegt hätte.“ Von der ließ er nicht nur in filmischer Hinsicht ab: Schlöndorff hat sich mal als Angela-Merkel-Fan geoutet, und das wird ihm nur schwer verziehen, aber er steht dazu: „Ich habe mich immer für eine Person entschieden, für Brandt, gegen Schmidt, für Merkel, gegen Kohl. Da verhalte ich mich wie ein Regisseur, ich gehe immer nach der besseren Besetzung. Dass ich trotzdem sentimental links bin, das ist von der Kindheit und vom Geburtsdatum bedingt. Aber ich bin einfach kein Ideologe. Ich will mich nicht instrumentalisieren lassen. Das ist etwas elitär, ich weiß.“
Das Schlüsselerlebnis: eine Beerdigung
Für diese Erkenntnis gab es ein Schlüsselerlebnis. Das Schlüsselerlebnis einer Generation, eine kollektive Szene, ein Kulminationspunkt deutscher Nachkriegsgeschichte: Als im Oktober 1977 auf dem Höhepunkt des „Deutschen Herbstes“ auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof die Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe beerdigt wurden, war Schlöndorff dabei, als Filmemacher. Der Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ verarbeitete die Geschehnisse. Noch einmal O-Ton Schlöndorff: „Das Schlüsselerlebnis war die Beerdigung der sogenannten Baader-Meinhof-Bande, wo ich gemerkt habe, dass unsere linken Träume in eine vollkommene Sackgasse geführt haben. ‚Deutschland im Herbst‘ ist ein Abschied von diesen Illusionen gewesen.“