Wir schaffen das!
Der Deutsche Städtetag hat sich in Sachen Flüchtlingsproblematik zu Wort gemeldet. Die Situation ist kritisch, aber noch nicht ernst. So könnte man die Statements deutscher Oberbürgermeister in Sachen Flüchtlingsproblematik zusammenfassen.
Die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der deutschen Kommunen sind in der Flüchtlingsfrage mit ihren Zustandsbeschreibungen und Analysen summarisch eine Art Seismograph, der anzeigt, was zu tun und zu lassen ist. Nach dem zurückliegenden Symposium veröffentlichte der Deutsche Städtetag ein Meinungsbild des Präsidiums, das sich im Kanon dem Bundeskanzlerin-Leitsatz („Wir schaffen das!“) anschließt. Zu schaffen sei es aber nur, wenn Bürgerkriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte in die Gesellschaft integriert werden, die Akzeptanz in der Bevölkerung für Flüchtlinge erhalten bleibt und mehr bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen mit niedrigen Einkommen geschaffen wird. Die bisherigen Erfolge seien kein Selbstläufer, sondern können nur aufrechterhalten werden, wenn „die Stadt die Integrationsaktivitäten fortführt und dabei von Bund und Land konzeptionell und finanziell unterstützt wird. Im wahrsten Sinne des Wortes fatal für die Akzeptanz der Bevölkerung wäre, wenn die Stadt gezwungen würde, den steigenden flüchtlingsbedingten Kosten bei anderen Angeboten für die Bürger hinterherzusparen.“ So Pit Clausen, Oberbürgermeister von Bielefeld. – Die DAZ veröffentlicht Zitate von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern aus dem Präsidium des Deutschen Städtetages im O-Ton.
I
Frage: Wie ist nach Ihrem Eindruck die Einstellung der Bevölkerung in Ihrer Stadt gegenüber den Flüchtlingen? Wandelt sich die Einstellung, weil mehr Menschen kommen?
Oberbürgermeister Bertram Hilgen, Kassel: „Aktuell lässt sich glücklicherweise kein Einstellungswandel innerhalb der Bevölkerung erkennen, weil mehr Menschen kommen. Damit die gute Stimmung nicht kippt, muss man den Flüchtlingen und Asylbewerbern aber auch Gesetze, Regeln und Werte des Zusammenlebens aufzeigen und erklären. Zusätzliche Integrationskurse können
hier helfen.“
Oberbürgermeister Markus Lewe, Münster: „Es gibt unverändert enormes bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge. Zugleich wird öfter die Sorge geäußert, dass die Infrastruktur der Stadt den kontinuierlich steigenden Zugängen nicht gewachsen ist.“
Oberbürgermeister Jochen Partsch, Darmstadt: „Wir erleben eine hohe Zustimmung der Bürgerschaft in Bezug auf die Aufnahme der geflüchteten Menschen und den Umgang der Verwaltung und der Politik mit dieser Herausforderung. Die Hilfsbereitschaft unter den Bürgerinnen und Bürgern ist in den letzten Monaten mit der steigenden Zahl an asylsuchenden Menschen in Darmstadt weiter gestiegen. Vereinzelt gibt es auch kritische Stimmen aus der Bürgerschaft, diese betreffen vor allem Fragen in Bezug auf die Sicherheit im Quartier, die ungleiche Verteilung der Flüchtlinge in der Stadt und Integrationsmöglichkeiten.“
II
Frage:Viele Städte stoßen bei der Unterbringung an Grenzen. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten Ihrer Stadt ein, dennoch weitere Menschen aufzunehmen?
Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse, Ludwigshafen: „Wir müssen gegenwärtig davon ausgehen, dass in Ludwigshafen im März 2016 alle derzeit vorhandenen Unterbringungskapazitäten für Asylsuchende erschöpft sein werden. Frühestens im Mai 2016 stehen weitere feste Unterkünfte in Form von Schlichtwohnungen zur Verfügung. Es droht also trotz aller Bemühungen zumindest für einen Zeitraum von etwa sechs Wochen die tatsächliche Unmöglichkeit, weitere Asylbewerber vernünftig und angemessen unterzubringen. Damit die Stadt eine Atempause hat, bräuchten wir eigentlich einen Zuweisungsstopp des Landes. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es einen solchen geben wird. Daneben bleiben zwei große Daueraufgaben: die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten und die Integration der Neuankömmlinge mit Bleibeperspektive voranzutreiben.“
Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, Reutlingen: „Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen werden die Flüchtlinge jetzt mehrheitlich in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Dieser in der Regel neu und vor allem schnell zu schaffende Wohnraum (Container, Modulelemente) verursacht sehr hohe Kosten. Hinzu kommen Ausgaben für Sozialbetreuung, Wohnbegleitung durch Hausmeister und Verwaltungskräfte sowie externe Sicherheitsdienste. Diese Kosten der städtischen Unterbringung werden den Städten derzeit nicht erstattet.“
Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl, Augsburg: „Zuwächse wie in 2015 sind auf Dauer nicht zu verkraften. Wir sind gerüstet, was auch ein großer Verdienst meiner hoch motivierten Verwaltung ist, die die zusätzliche Arbeit hervorragend meistert. Auch ganz viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer haben dazu beigetragen, dass diese erste Phase der Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern funktioniert hat. Doch auf Dauer ist das nicht tragfähig.“
Oberbürgermeister Burkhard Jung, Leipzig: „Eine Atempause täte wohl allen Städten gut. Es ist nicht so sehr das Problem der großen Zahl an Menschen, die kommen. Es ist die Geschwindigkeit, mit der sie kommen. Wir brauchen längere Vorlaufzeiten, um die Unterbringung menschlich und auch im Einklang mit den Nachbarn und der Stadtgesellschaft organisieren zu können. Wir sind weiter bestrebt, so viele Flüchtlinge wie möglich nach einer Eingewöhnungsphase in Wohnungen unterzubringen – aber unter den gegebenen Umständen wird das immer seltener möglich sein. Vor einem halben Jahr hätte ich es mir nicht vorstellen können, aber an den Anblick von Zelt-Dörfern werden wir uns vorerst gewöhnen müssen.“
Oberbürgermeister Frank Klingebiel, Salzgitter: „Das oberste Ziel in Salzgitter ist es, den sozialen Frieden zu wahren. Zelte und Turnhallen brauchten wir in Salzgitter noch nicht in Anspruch nehmen, allerdings mussten wir kurzfristig einen Kinder- und Jugendtreff für die Unterbringung von Flüchtlingen zweckentfremden.“
III
Frage: Worin sehen Sie für das Jahr 2016 die größte Herausforderung im Hinblick auf Flüchtlinge in Ihrer Stadt?
Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, Nürnberg: „Am schwierigsten fällt uns vermutlich die Bereitstellung von Wohnraum. Schaffen müssen wir auch die Vermittlung in Sprache, Bildung und Beruf im gesamten Lebenslauf: Kindergartenplätze, Beschulung, Sprach- und Integrationskurse für die Erwachsenen, Integration in Arbeit über direkte Vermittlung, Anerkennung vorhandener Qualifikationen und Nachqualifizierung.“
Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon, Freiburg im Breisgau: „Nicht nur die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen stellen große Herausforderungen für die Verwaltung und die ganze Bürgerschaft dar. Die größere Aufgabe liegt darin, die Menschen in die Stadtgesellschaft zu integrieren, das heißt, in Wohnungen, in Beschäftigung, Schulen und in unser Rechts- und Wertesystem.“
Oberbürgermeister Pit Clausen, Bielefeld: „Im Mittelpunkt wird weiter die Unterbringungsfrage stehen. In engem Zusammenhang steht die Frage, wie die bislang hohe Akzeptanz aufrechterhalten werden kann. Dies wird nur gelingen, wenn die Stadt die Integrationsaktivitäten fortführt und dabei von Bund und Land konzeptionell und finanziell unterstützt wird. Im wahrsten Sinne des Wortes fatal für die Akzeptanz der Bevölkerung wäre, wenn die Stadt gezwungen würde, den steigenden flüchtlingsbedingten Kosten bei anderen Angeboten für die Bürger
hinterherzusparen.“
IV
Frage:Was halten Sie für nötig, um die Situation in den Städten bewältigen zu können? Sehen Sie einen Aspekt, der bisher zu wenig bei der Lösung der Aufgaben beachtet wird?
Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, Saarbrücken: „Die finanzielle Belastbarkeit der Kommunen muss noch bessere Beachtung finden und es ist auch dringend erforderlich, Möglichkeiten zu schaffen personelle Verstärkung zu bekommen.“
Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow, Schwerin: „Besonders bei dem steigenden Personalbedarf werden die Kosten nicht im vollen Umfang erstattet. Wir erwarten aber eine Vollkostenerstattung.“
Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann, Hamm: „Erstens muss der Bund bei anerkannten Asylbewerbern die Kosten der Unterkunft komplett übernehmen, ansonsten sind die Städte finanziell überfordert. Zweitens ist sozialer Wohnungsbau bezeihungsweise Flüchtlingswohnraum dringend notwendig. Drittens muss im täglichen Arbeitsablauf eine quantitative Verlässlichkeit entstehen. Die Kommunen benötigen besonders jetzt Planungssicherheit und einen zeitlichen Vorlauf, um sich auf die zukünftigen Aufgaben vorzubereiten. Notunterkünfte und andere ad hoc Übergangslösungen können nicht von Dauer sein.“