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Samstag, 23.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Wissenschaftspreis mit praktischen Konsequenzen

Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus brachte sich in Augsburg ein

Von Frank Heindl

Mit einer gewissen Spannung sieht man im Augsburger Kulturamt derzeit dem 14. Juli entgegen. An diesem Tag findet die erste, konstituierende Sitzung des Augsburger Islamforums statt – Beginn des Versuches, die Integration der Augsburger Muslime in die Stadtgesellschaft zu forcieren und nachhaltig mit den Anhängern des Islam ins Gespräch zu kommen. Ein erster Schritt dazu fand vergangene Woche im Rahmen der Verleihung des Augsburger Wissenschaftspreises für Interkulturelle Studien statt: Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus erhielt die Auszeichnung für ihre Dissertationsarbeit „Wer ist hier Muslim?“

Eine zehnköpfige Jury unter Vorsitz von Prof. Eckhard Nagel hatte die 1974 geborenen Berlinerin als Preisträgerin ausgewählt – ein Glücksfall sowohl für die Bemühungen der Stadt, ihr Profil als Friedensstadt weiter zu schärfen, als auch für die ganz konkreten Bestrebungen, mit der großen Religionsgemeinschaft der Muslime ernstlich, dauerhaft und nachhaltig ins Gespräch zu kommen. Mit ihrer Dissertation (Untertitel: „Die Entwicklung eines islamischen Bewusstseins in Deutschland zwischen Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung“), so die Jury, habe Spielhaus „ein höchst aktuelles Thema aufgegriffen und zugleich Einblicke in die Lebenswelten von Migranten in Deutschland ermöglicht.“ Die Arbeit wurde aus 14 Einsendungen ausgewählt und ist mit 5000 Euro Preisgeld dotiert.

Der Islam wurde plötzlich politisch definiert

Dr. Riem Spielhaus - Bild: idw

Dr. Riem Spielhaus - Bild: idw


Dass Muslime Muslime sind, interessierte in Deutschland lange Zeit niemanden. Erst mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 wurde das „islamische Bewusstsein“ eines großen Teils der hiesigen Bevölkerung gleichsam entdeckt. Allerdings eher in Form einer Schublade, in die nun alle Muslime gesteckt wurden. Der Islam wurde nicht nur als Religion, sondern als eine zweifelhafte bis aggressive politische Einstellung definiert – eine Einordnung, die gewiss nur einen Bruchteil der Muslime beschreibt, diese aber in ihrer Gesamtheit zur Stellungnahme zwang und zwingt. Soziale Konflikte werden in diesem gedanklichen Rahmen zunehmend als Glaubenskonflikte wahrgenommen und in religiösen Mustern gedeutet. Riem Spielhaus‘ Arbeit widerspricht diesem allzu einfachen Bild vehement: Dass die Mehrheitsgesellschaft den Muslimen eine religiöse Definition aufdränge, bewirke zwar deren verstärkte Auseinandersetzung mit religiösen Themen – trotzdem seine sie „weit davon entfernt, jene homogene Gemeinschaft zu werden, als die sie in politischen Debatten und in den Medien wahrgenommen werden“, fasste Prof. Nagel bei der Preisverleihung zusammen. Die an der Berliner Humboldt-Universität vorgelegte Arbeit wurde dort übrigens mit den höchsten verfügbaren Weihen ausgezeichnet: Inhaltlich und sprachlich wurde sie mit „summa cum laude“ bewertet.

Sie habe lange nach einem Thema gesucht, „das eine Relevanz hat“, erzählte die Preisträgerin bei der Festveranstaltung im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses – das schließlich gewählte Thema habe dann „sehr viel mit meinem Alltag zu tun“ – Spielhaus ist Mitglied in der Berliner Islamkonferenz und kam schon dort zu der – unübersehbaren – Erkenntnis, die auch ihre Dissertation prägt: dass die in Deutschland lebenden Muslime keineswegs eine Einheit bilden. Oberbürgermeister Gribl wünschte der Preisträgerin, der Preis möge dabei helfen, „ihre Arbeit für ein breites Publikum zugänglich zu machen“, und Uni-Vizepräsident Werner Wiater machte nebenbei darauf aufmerksam, dass der Augsburger Wissenschaftspreis wohl auch ein gewisser Indikator für wissenschaftliche Karrieren ist: Sechs der bisherigen Preisträger (der Preis wird seit 1998 vergeben) seien mittlerweile Professoren geworden – Riem Spielhaus wird sich über solche Aussichten freuen.

In Augsburg: Vertrauen schaffen, Vorurteile abbauen

Doch am Tag nach der Preisverleihung musste die Berlinerin zunächst in Augsburg „an die Arbeit“: Die Fachstelle Integration und Interkulturelle Arbeit und das Projektbüro für Frieden und Interkultur im Kulturamt unter Leitung von Timo Köster hatten die Wissenschaftlerin zu einem informellen Treffen mit den Vertretern der Moscheevereine bzw. muslimischen Religionsgemeinschaften der Stadt eingeladen und zeigte sich so an ganz praktischen Konsequenzen aus der Islamwissenschaft interessiert. Viele Imame, wusste die Süddeutsche Zeitung zwei Tage später über ein Treffen von Vertretern der Muslime in Stuttgart zu berichten, kämen „mit der Wirklichkeit in Deutschland nur sehr schwer zurecht.“ So problematisch sieht Timo Köster vom Kulturamt die Situation in Augsburg nicht, aber auch er weiß, dass es im Projekt Islamforum Augsburg zunächst darum gehen muss, Vertrauen zu schaffen, Vorurteile und Schubladendenken abzubauen, sich gegenseitig aneinander heranzutasten. Ob Frau Spielhaus mit ihrer deutlich wissenschaftlich fundierten Herangehensweise mit den Augsburger Muslimen ins Gespräch kommen würde, schien im Vorfeld nicht unbedingt ausgemacht. Doch aus Köster sprach nach dem Treffen – nur geladene Gäste waren zugelassen, die Medien wollte man (noch) nicht dabeihaben – große Erleichterung: Man schaue zwar immer noch mit einer „gewissen Spannung“ auf die konstituierende Sitzung am 14. Juli, habe aber deutlich und plausibel machen können, dass es zunächst um ganz einfache, praktische Probleme gehen werde, die man einvernehmlich werde lösen können: Um Seelsorge etwa, um Grabstätten, darum, wer bei Unfällen mit muslimischen Beteiligten die Notfallseelsorge übernimmt und ähnliche Alltagsthemen, an denen sich doch in vielfältiger Weise festmachen lässt, in wieweit Integrationsbemühungen auch von deutscher Seite aus ernst gemeint und mit den Angeboten fester Strukturen verbunden sind.

Hohe Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten

Solche Themen seien für viele der Anwesenden „Neuland“, aber die Rektionen seien „sehr offen“ gewesen, die Bereitschaft, über das bisher Geleistete ebenso wie über das nicht Geleistete zu sprechen, sei auf allen Seiten sehr hoch, freut sich Köster: „Wir haben sehr viel reflektiert.“ Zu danken war das möglicherweise auch der Anwesenheit von Riem Spielhaus. Sie ist eben nicht nur Wissenschaftlerin, sondern mit mannigfaltiger politischer Erfahrung ausgestattet und habe, so Köster, „sehr spannend vom Islamforum in Berlin erzählt.“ Auch eine „ideologische“ Voraussetzung hat die Preisträgerin Riem deutlich in das Treffen eingebracht: „Wir haben nicht von den Muslimen geredet“, betont Köster, „weil es sich um sehr unterschiedliche Menschen handelt, die sehr unterschiedlich, aber zu einem ganz großen Teil eben auch gar nicht organisiert sind.“ Der Islam und die Muslime, da entsprechen sich Spielhaus‘ Wissenschaft und Kösters Erkenntnisse vor Ort, bestehen aus vielen einzelnen, höchst unterschiedlichen Gruppierungen – aus nur schwer über einen Kamm zu scherenden Individuen möglicherweise.