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Dienstag, 08.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Wohnungsnot: Augsburg in Bürgerhand wirft Stadtregierung schwere Versäumnisse vor

Nach Auffassung von „Augsburg in Bürgerhand“ (AIB) haben es die Augsburger Stadtregierungen in den vergangenen 30 Jahren versäumt, ihre Bürger vor dem vorhersehbaren Miet-und Immobiliennotstand zu schützen. Sogar das Gegenteil sei der Fall, da, so AIB, Rot, Schwarz und Grün zur aktuellen Situation beigetragen hätten.

Nach einer Analyse der Problementstehung führt die Bürgerinitiative aus, welche politischen Maßnahmen zu ergreifen seien, um in der Stadt Augsburg eine Wohnraumschaffung herzustellen, die aus der aktuellen Miet- und Immobilien-Preisspirale herausführen soll. Die DAZ stellt ihren Lesern das Dokument 1:1 zur Verfügung:

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1. Versäumnisse und Untätigkeit der Stadtregierung

Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau

Die bisherigen Regierungsparteien CSU, SPD und Grüne überbieten sich im aktuellen Kommunal- Wahlkampf in der Forderung nach Mehrprozenten an gefördertem Wohnraum bei Neubauten. Diese Parteien waren alle in den lvergangenen drei Legislaturperioden jeweils zwei Mal Teil der Stadtregierung und tragen damit die Verantwortung, dass seit Anfang der 90er Jahre der Bestand an Sozialwohnungen von 22900 auf aktuell 8200 gefallen ist. Sie tragen auch Verantwortung dafür, dass die städtische WBG von 2002 bis 2016 lediglich 700 Wohnungen (!) nach einkommensorientierter Förderung (EoF) gebaut hat (Quelle: AZ 27.6.16)

Untätigkeit gegenüber Preisexplosionen

Die Regierungsparteien kaschieren ihre Verantwortung auch für die gewaltigen Preissteigerungen bei Miet- und Immobilienpreisen während der jetzigen Legislaturperiode. Von 2011 bis 2018 haben sich die Preise z.B. für eine 6o m2 Mietwohnung von 6,55 Euro auf 10,15 Euro und für eine 60 m2 Immobilie von 1795,84 Euro auf 3989,12 Euro gesteigert (je m2). Damit haben sich die Mieten in diesem Segment um 55% und die Immobilienpreise um 122% gesteigert (Quelle: wohnungsbörse.net)

Reaktionslosigkeit bei Augsburgs Ausschluss aus „Abstandsflächenregelung“

Im Dezember 2019 hat die bayerische Staatsregierung das „Abstandsflächenrecht“ (Art 6) neu verfasst. Die Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 H ermöglicht eine bessere Ausnutzung von Grundstücken in der Höhe und damit eine „Aufstockung“ von Gebäuden. Damit kann gerade in den Städten zusätzlich dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden, bei gleichzeitiger Erhaltung von Grün- und Freiflächen. Diese neue Regelung bietet sich als ein Zusatzinstrument zur Wohnraumbeschaffung an und kann eine weitere Flächenversiegelung vermeiden. Um dies zu gewährleisten, fordert Augsburg in Bürgerhand einen „qualifizierten Freiflächengestaltungsplan“.

Die Staatsregierung hat die neue Abstandsflächenregelung u.a. für Augsburg ausgeschlossen. Die bayerische Architektenkammer bezeichnet diese Entscheidung als „nicht nachvollziehbar“ und befürchtet mit der neuen Regelung sogar eine „Verschärfung“ des momentan geltenden Rechts. Danach dürfte in Augsburg dann weniger hoch als jetzt gebaut werden, während in den umliegenden Gemeinden eine Aufstockung erfolgen darf. Mit keinem Wort reagierte die Stadtregierung auf diese Augsburger Benachteiligung. Bürgermeisterin Weber räumte auf einer Veranstaltung zum Wohnen am 29.1.20 ein, dass sie diese Regelung noch nicht kenne.

Mangelnde Personalausstattung der Baubehörde bedingt lange Laufzeiten für Bauanträge

Ein großes bürokratisches und kostspieliges Hemmnis sind die Antragsverfahren für Bauanträge. In Augsburg wird vor allem immer wieder die zu lange Dauer der Bearbeitungszeiten für Bauanträge kritisiert. Das wünschenswerte Ziel, spätestens drei Monaten nach Antragstellung den Bauantrag zur Entscheidung zu bringen, wird oft nicht erreicht. Hauptgrund ist die nicht ausreichende Ausstattung der Behörde mit qualifiziertem Fachpersonal. Dafür leistet sich Augsburg mit dem Stadtplanungsamt eine zweite Stelle, die eine „unverbindliche Bauberatung“ anbietet. Nach Münchner Vorbild, die beide Stellen vereinigt hat, könnte eine Entlastung der Baubehörde erreicht werden mit der Folge, dass die Laufzeiten der Bauanträge verkürzt und die engbegleitende Beratung verbessert werden kann.

2. Konzept für bezahlbaren Wohnraum

Seit der Finanzkrise 2007 erlebt die Welt einen gewaltigen Zustrom von Spekulationskapital in Grund und Boden. Riesige Flächen wurden von Finanzanlegern besonders in Asien und Afrika aufgekauft. Auch in Richtung Metropolen und Großstädte sind massiver Kapitalflüsse in Immobilien zu erkennen. Dieser Zufluss in „reale Werte“ hinein ist wesentlicher Grund für die enormen Preisexplosionen. Städtische Immobilienmärkte sind Teil des Weltfinanzsystems geworden. Durch die Nähe zur Metropole München verstärkt sich für Augsburg dieses Phänomen. Der „Veräußerung“ von Grund und Boden hat sich die herrschende Politik in unserer Republik und in unserer Stadt nicht entgegengestellt. Mit ihrer Folge von Untätigkeiten und Versäumnissen hat die Stadtregierung die oben beschriebene Entwicklung vorangetrieben. So hat Augsburg in großem Umfang,den in den vergangenen Jahrzehnten in kommunalem Eigentum befindlichen Grund und Boden, veräußert.

Wer tatsächlich wirkungsvoll etwas gegen die Preisexplosionen bei Mieten und Immobilien erreichen will, muss den Hebel bei Grund und Boden ansetzen.

Grund und Boden müssen in die Hände der Kommune

Augsburgs Aufgabe ist es nicht, Grund und Boden zu kaufen, um ihn dann an private Investoren zu verscherbeln. So wird ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge aus der Hand gegeben. Grund und Boden muss „allen“ gehören. Verbunden mit zusätzlichen Instrumenten bietet das kommunale Eigentum an Grund und Boden eine wirkungsvolle „Firewall“ gegen Finanzspekulanten. Es ermöglicht, Einfluss auf die Miet- und Immobilienpreise zu erlangen, Wohnpolitik für die schwächeren Einkommensgruppen zu gestalten und im Verbund mit regionalen Bauträgern die Bauaktivitäten in Konzeptvergaben anzuregen. Grundlage für die Weitervergabe des kommunalen Grund und Bodens für Bauaktivitäten ist das Erbbaurecht.

Vergabe durch Erbbaurecht

Die Vergabe nach Erbbaurecht ist seit hunderten von Jahren erprobt. Hierbei überlässt die Kommune Grund und Boden für einen sehr langen Zeitraum dem Bauherren. Damit sind die

Anfangsinvestitionen in einer Zeit, in der die Preise für Grund und Boden den größeren Teil ausmachen, deutlich geringer und damit auch für Menschen mit wenig Eigenkapital wieder finanzierbarer. Die eigentlich unerwünschte Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank schafft derzeit ungewollt eine günstige Voraussetzung: Baukredite können für die Kommunen zu äußerst günstigen Bedingungen beliehen werden. Damit können die Erbpachtzinsen bei der Vergabe selbst niedrig bleiben, was zu einer zusätzlichen Entlastung des Bauherrn beiträgt. Die Kommune selbst kann hiermit einen Zinsvorteil ausschöpfen und auf Dauer einen wachsenden Wert an Grund und Boden realisieren.

Konzeptvergabe

Bei Vergabe im Erbbaurecht können umfangreiche und spezifische Auflagen gemacht werden, auch und gerade in Bezug auf eine soziale Bodennutzung. Die Grundstücksvergabe kann auf der Grundlage einer Konzeptausschreibung erfolgen. Nicht das höchste Gebot ist entscheidend sondern die Orientierung an den wohnungspolitischen Zielen der Stadt wie z.B. sozialverträgliche Mieten. „Zahnlose“ Instrumente, wie z.B. eine Mietpreisdeckelung, könnten wegfallen. Auch sind Zielsetzungen, wie z.B. ein Mietermix für Bauvorhaben umzusetzen, damit verwirklichbar.

Vor allem sind auf der Grundlage von Erbpachtrecht und Konzeptvergabe Bauförderungen für junge Familien möglich.

Vorkaufsrecht und Erhaltungssatzung

Nach Baugesetzbuch hat die Stadt ein allgemeines Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Das gilt insbesondere im Geltungsbereich einer Satzung zur Sicherung von Durchführungsmaßnahmen des Stadtumbaus und einer Erhaltungssatzung. Eine solche Erhaltungssatzung hat die bisherige Stadtregierung nicht auf den Weg gebracht. Auch dort, wo die Stadt schon über ein Vorkaufsrecht verfügte, hat sie dieses nicht wahrgenommen.

„Augsburg in Bürgerhand“ fordert die sofortige Erstellung einer Erhaltungssatzung, die das Ziel hat, der Stadt Vorkaufsrechte zu garantieren, um den Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im jeweiligen Gebiet zu bewahren und den Erhalt der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt zu gewährleisten.

Sofortprogramm ist notwendig

Um notwendige Maßnahmen nicht mehr weiter hinauszuzögern, ist ein Sofortprogramm durchzuführen. Als erster Schritt ist als Gremium ein „Runder Tisch“ zu eröffnen, das überparteilich ausgerichtet ist. An diesem Tisch setzen sich politische Vertreter, ebenso Bauverwaltung, WBG, Baugenossenschaften, unabhängige Kollektive, wie Unser Haus, Öko-Dorf u.a. und freie regionale Bauträger zusammen.

Ziel dieses Runden Tisches ist, den notwendigen Baubedarf aufgrund der Stadtentwicklung festzustellen und die möglichen Bauvorhaben festzuschreiben. Dies bezieht sich auf mögliche Neuprojekte wie auch auf Aufstockungen. Sozialen und genossenschaftlichen Ansätzen ist Vorrang einzuräumen. Der Verantwortung dieses Runden Tisches unterliegt die Entwicklung eines Zeitplans für die Durchführung vorliegender Konzepte. Die Versammelten schließen sich zu einer „Augsburger Allianz gegen Immobilienspekulation“ zusammen, der auch weitere gesellschaftliche Kräfte angehören können.