Zwei Lesungen: Axel Hacke und Wladimir Kaminer im Parktheater
Von Frank Heindl
Die Pointen saßen wie in seinen Büchern – insofern war es durchaus berechenbar, was Wladimir Kaminer am Freitag auf der Bühne des Parktheaters zu bieten hatte. Wer allerdings den 41-jährigen, geboren in Moskau, seit 19 Jahren Berliner, noch nie live oder wenigstens in Rundfunk oder Fernsehen erlebt hatte, für den gab es doch eine Überraschung. Denn Kaminer zieht auch eingefleischte Fans immer wieder in seinen Bann nicht nur durch seine witzig-schrulligen Geschichten, sondern durch sein rundum sympathisches Auftreten. Trotz seines ihm weit vorauseilenden Ruhmes, trotz des großen „Hypes“ um die Person des Ex-Sowjetbürgers, der auch im Westen in vielerlei Suppen vielerlei Haare findet und der den Realsozialismus entgegen allen politisch korrekten Klischees gar nicht in allen Punkten so richtig schrecklich fand, trotz ungezählter TV-Interviews und Zeitungskolumnen hat sich Kaminer eine Bescheidenheit bewahrt, mit der er sofort für sich einnimmt.
Das hatte sich schon letzte Woche im DAZ-Interview gezeigt. Und auch auf der Parktheater-Bühne stand dann „einer wie du und ich“ und erzählte aus seinem aberwitzigen Alltag. Das Wichtigste aber, was ihn von uns gewöhnlichen Menschen unterscheidet, ist doch eigentlich „nur“, dass er die Absurditäten wahrnimmt, an die wir uns schon so lange gewöhnt haben, über die wir uns längst nicht mehr aufregen. Dass der kleine, kahle Park, an dem er in Berlin lebt, nicht mit Bäumen bepflanzt, aber selbstverständlich von Hunden bedüngt werden darf, ist eine dieser Wahrnehmungen, aber auch die tiefer schürfende, dass ein Betrogener immerhin mehr Spaß hat als das Opfer eines Überfalls, dass sich also Betrug als ein „Muster der zwischenmenschlichen Beziehungen“ darstellen lässt.
Bei Kaminers Geschichten kann man sich an der Pointe orientieren – in der Tat sind sie meistens satirisch-witzig. Doch wer sie auf das Schema „am Schluss darf gelacht werden“ reduziert, verpasst den Hauptteil: Was vor dem Schlussgag kommt, reicht oft tiefer als so mancher für den Tagesgebrauch fabrizierte Leitartikel, und nicht selten haben seine Beobachtungen auch eine richtig traurig-tragische Komponente. Eine der neuen, noch nicht veröffentlichten, die von Kaminers Sparkassenberater handelt („er ist eigentlich kein Berater, sondern ein Abrater“) müsste man zynisch nennen, wäre sie nicht vom Mitgefühl geprägt für jenen Berliner Rentner, der seinen Erben einen letzten Streich spielen will – doch selbst dieser misslingt, weil Kinder und Enkel sich auch nach seinem Tod nicht für ihn interessieren.
Das war am Montag zuvor ein bisschen anders gewesen: Axel Hackes Fangemeinde ist schon deshalb größer, weil er seit vielen Jahren eine Kolumne im Wochenendmagazin der „Süddeutschen Zeitung“ hat. Halb Deutschland kennt seine Frau, seine Kinder und sogar seinen Kühlschrank mit Namen. Auch Hacke geht es um die Absurditäten des Alltags, doch bei ihm ist die Orientierung am Gag, am Gelächter deutlich wichtiger. Was beileibe keine Kritik sein soll – Lachen macht Spaß, erst recht, wenn es intelligente Gründe hat. Zudem ist auch bei Hacke das Gelächter subversiv, auch er weiß deutlich zu machen, dass harmlose Versprecher nicht nur mit Freudschen Erklärungsmodellen, sondern auch mit kulturellen Zuständen zu erklären sind. Nicht in jedem Fall allerdings: Wenn auf einer griechischen Speisekarte die Zwiebelringe zunächst korrekt in englische „onion rings“, von dort aber gänzlich unzutreffend in „Zwiebel ruft an“ übersetzt werden, so darf darüber glücklicherweise ohne jeden Hintergedanken einfach laut gelacht werden.
Dass ein Firmenschalter in einem Verwaltungsgebäude mit dem Schild „Personalverkauf“ versehen ist, kann einem schon mehr zu denken geben. „Früher“, so Hacke, „wurden die Leute noch einfach entlassen.“ Und es mag auch relativ harmlos erscheinen, wenn ein Simultandolmetscher aus George Lucas‘ „Krieg der Sterne“-Motto „May the force be with you“ („Die Macht möge mit euch sein“) ein banales „Am vierten Mai bin ich wieder bei euch“ macht. Typisch Hacke ist, dass er den Gedanken weiter denkt und die Konsequenzen bedenkt: Was, wenn Dolmetscher bei wichtigen politischen Konferenzen ähnlich daneben liegen? Geschieht so etwas möglicherweise tagtäglich? Entscheiden Versprecher und geistige Aussetzer unser aller Schicksal? Ist womöglich auf diese Weise die Finanzkrise entstanden? Nein, so genau wollen wir das alles lieber gar nicht wissen!
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